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Die Mestizin

Die Mestizin

Titel: Die Mestizin
Autoren: César Aira
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über dicht gedrängt auf den Karren lagen und schliefen. Die Offiziere bekamen auch nichts anderes zu essen, begossen aber jede Mahlzeit mit Schnaps, und manchmal tranken sie auch bloß. Abwechslung kam nur dann in die tägliche Routine, wenn sie auf eine Schar Nandus oder einen Schwarm Rebhühner stießen, auf eine Wachtel oder einen Hasen, dessen Lauf der Leutnant zu seinem Zeitvertreib mit einem gezielten Schuss ein Ende setzte.
    Während das Wasser für den Matetee heiß gemacht wurde, schnitten drei Gehilfen das Dörrfleisch in Streifen, anschließend machten sie sich daran, es entlang der Karren zu verteilen; die Gefangenen waren so schwach und abgestumpft, dass sie sich nur mühsam aufraffen konnten, etwas zu essen; mehr als einen musste man anschubsen, damit er die Hand ausstreckte, um den Zwieback und den Krug entgegenzunehmen, in den der andere Soldat einen Strahl der kochend heißen grünen Flüssigkeit goss.
    Die vier Offiziere setzten sich auf die hochlehnigen Sättel, die sie kreuz und quer auf den Boden geworfen hatten. Gleichgültig gegenüber dem Regen, blickten sie mit einem dümmlich-fiesen Ausdruck ins Leere. Schon vor Monaten hatten sie aufgehört, die Existenz dieser tumben Menge, die von ihnen abhängig war, überhaupt noch wahrzunehmen; sie fühlten sich wie freie Planeten, die in einem Limbus aus Alkohol und unausgefüllter Zeit ihre zufälligen Kreise zogen. Es gab etwa zehn Gefreite, doch sie wurden gewöhnlich degradiert, oftmals ohne jede Vorwarnung, und gingen sowieso in der Truppe unter, in der nichts auch nur im Entferntesten an militärische Disziplin gemahnte. Außer gegenüber dem Leutnant wurde die Form nicht gewahrt, und er selbst hielt sie für ein überflüssiges Relikt aus der Vergangenheit. Sie waren Wilde, umso wilder, je weiter sie in den Süden vorrückten. Die Vernunft verließ sie zusehends in der Wildnis, einem gesetzlosen Ort im Argentinien des letzten Jahrhunderts.
    Der Leutnant, die höchste Autorität im Treck und von allen isoliert, war ein junger Mann, er sah aus wie fünfunddreißig und lebte jetzt schon über zehn Jahre im Grenzland. Er hatte einige dieser Reisen unternommen, bei denen menschliche Fracht aus Buenos Aires abtransportiert wurde und von denen jede, Hin- und Rückweg gerechnet, fast ein Jahr dauerte. Er hatte weiße, weiche Hände – die Handschuhe legte er nur nachts ab –, schwarzes, geöltes Haar, und beim Gehen machte er den peinlichen Eindruck schlenkernder Ungeschicklichkeit, denn seine breiten Hüften wollten zu den dünnen Armen und Beinen einfach nicht passen. Hingegen war er ein exzellenter Reiter und der Einzige, der einen englischen Sattel mit Knauf benutzte.
    Der ihm untergebene Major war ein alter Mann mit grauem Haar und verluderter Uniform; die beiden anderen waren Feldwebel, dunkelhäutig und von stillem Wesen. Der Leutnant schraubte den Deckel seiner Feldflasche ab und nahm einen Schluck Schnaps. Die anderen äfften ihn mechanisch nach. Das Saufen war ihnen angeboren. Es regnete immer noch, was aber kaum zu spüren war. Vom dunklen Horizont her hörte man Donnergrollen. Der Leutnant zog die Uhr aus der Tasche und starrte wie begriffsstutzig darauf: zwei Uhr.
    Schließlich brachte ihnen der Gehilfe eine gebratene Viscacha und eine Packung Zwieback. Sie aßen nicht so viel, wie sie tranken, und das ganze Mittagessen über wurde kein einziges Wort gesprochen. Der Leutnant nahm keinen Bissen zu sich, machte nicht die geringsten Anstalten zuzugreifen, als man ihm ein Beutetier anbot, und rauchte weiter; er war so zerstreut, dass der Regen ihm die Zigarette löschte und aufweichte: Er zog daran und zündete sich dann eine neue an, ohne sie besser zu schützen als die vorherige. Er trank die ganze Zeit, bis die Feldflasche geleert war, die er sich im Lauf des Vormittags schon zweimal hatte wiederauffallen lassen: Da schickte er einen der Feldwebel los, er solle sie wieder voll machen, und als er sie zurückbekam, nahm er einen tiefen Schluck. Seine Haltung war zumindest stimmig.
    «Und der Franzose?», fragte er plötzlich mit belegter Stimme. Die Worte hallten deutlich in dem allgemeinen Befremden nach. Die Männer merkten erst nach einer Weile, dass es sich um eine Frage handelte, zuerst mussten sie die feuchte Wiese betrachten, die blauen Knochen der Viscachas, so mancher starrte auf die dreckverkrusteten Stiefel des Leutnants. Dann sahen sie sich plötzlich um. Die Reihe der stehenden Karren zog sich einige hundert Meter weit. Alles
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