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Die Messerknigin

Titel: Die Messerknigin
Autoren: Neil Gaiman
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sitzt sie in meinem Hinterkopf fest und wartet darauf, dass endlich zwei Leute heiraten, die sie zu schätzen wüssten.
    Und gerade wird mir klar (während ich diese Einführung mit schwarzblauer Füllertinte in ein Notizbuch mit schwarzen Umschlag schreibe, nur für den Fall, dass dich das interessiert), dass die meisten Geschichten in diesem Buch zwar auf die eine oder andere Weise von Liebe handeln, dass es aber nicht genug schöne Geschichten enthält, Geschichten, in denen die Liebe angemessen belohnt wird, die einen Ausgleich schaffen könnten, ein Gegengewicht zu den anderen Formen der Liebe, die sich in diesem Buch finden. Darüber hinaus wird mir gerade klar, dass es Leute gibt, die überhaupt keine Einführungen lesen. Und außerdem könnte es doch sein, dass der eine oder andere von euch da draußen eines Tages doch heiratet. Also für all jene unter euch, die Einführungen lesen: Hier ist die Geschichte, die ich nie geschrieben habe. (Und sollte sie mir nicht gefallen, wenn ich sie zu Papier gebracht habe, kann ich diesen Absatz immer noch streichen und ihr werdet nie erfahren, dass ich aufgehört habe, diese Einführung zu schreiben, um stattdessen eine Geschichte zu beginnen.)
     

    Das Hochzeitsgeschenk

    Nach den Freuden und all den Aufregungen der Hochzeit, nach dem ganzen Irrsinn und dem Zauber (ganz zu schweigen von der Peinlichkeit, als Belindas Vater nach dem Essen seine Rede hielt, komplett mit Familiendias), nachdem die Flitterwochen vorüber waren (selbst wenn sie, metaphorisch gesprochen, noch lange andauerten) und ehe ihre Sonnenbräune im englischen Herbstwetter verblassen konnte, machten Belinda und Gordon sich daran, die Hochzeitsgeschenke auszupacken und Danksagungen zu schreiben – zahllose Danksagungen, um jedes Handtuch und jeden Toaster abzudecken, den Entsafter, den Brotbackautomaten, das Besteck und Geschirr, die Teemaschine und die Vorhänge.
    »Na bitte«, sagte Gordon. »Alle größeren Teile abgearbeitet. Was haben wir sonst noch?«
    »Die Geschenke in Umschlägen«, erwiderte Belinda. »Schecks, will ich hoffen.«
    Die Umschläge enthielten tatsächlich einige Schecks und eine Reihe Geschenkgutscheine, sogar einen Büchergutschein über zehn Pfund von Gordons Tante Marie, die, so erklärte Gordon Belinda, arm wie eine Kirchenmaus sei, aber ein richtiger Schatz. Solange er zurückdenken konnte, hatte sie ihm zu jedem Geburtstag einen Büchergutschein geschickt. Und als sie den Stapel abgearbeitet hatten, fanden sie ganz unten einen braunen Umschlag, der eher geschäftlich aussah.
    »Was ist das?«, fragte Belinda.
    Gordon riss ihn auf und zog einen Bogen Papier heraus. Er hatte die Farbe von zwei Tage alter Sahne, die Ränder oben und unten waren gezackt, wie abgerissen, und eine Seite war beschrieben. Das Schriftbild war das einer mechanischen Schreibmaschine; so etwas hatte Gordon seit Jahren nicht mehr gesehen. Langsam las er den Text.
    »Was ist es?«, wollte Belinda wissen. »Und von wem?«
    »Keine Ahnung«, sagte Gordon. »Von irgendwem, der noch eine Schreibmaschine besitzt. Es ist nicht unterschrieben.«
    »Ist es ein Brief?«
    »Eigentlich nicht.« Er kratzte sich am Nasenflügel und las es noch einmal.
    »Also?«, drängte sie, ihre Stimme klang aufgebracht. (Aber das war sie nicht; sie war glücklich. Wenn sie morgens aufwachte, eruierte sie immer als Erstes, ob sie noch genauso glücklich war wie beim Einschlafen oder als Gordon sich mitten in der Nacht an sie geschmiegt und sie geweckt hatte oder als sie ihn geweckt hatte. Und das war sie.) »Also? Was ist es denn?«
    »Es scheint eine Beschreibung unserer Hochzeit zu sein«, antwortete er. »Sehr nett geschrieben. Hier.« Und er reichte ihr das Blatt.
    Sie überflog es.
    Es war ein kühler Tag Anfang Oktober, als Gordon Robert Johnson und Belinda Karen Abingdon gelobten, einander zu lieben und zu halten und zu ehren, bis dass der Tod sie scheide. Die Braut sah hinreißend aus und strahlte vor Glück, der Bräutigam war nervös, aber unverkennbar stolz und ebenso unverkennbar zufrieden.
    So fing es an. Dann folgte eine Beschreibung der Trauung und der anschließenden Feier, in klaren, schlichten Worten und amüsant formuliert.
    »Das ist ja goldig«, sagte sie. »Was steht auf dem Umschlag?«
    »›Gordons und Belindas Hochzeit‹«, las er vor.
    »Kein Name? Kein Hinweis darauf, wer es geschickt hat?«
    »Nichts.«
    »Na ja, jedenfalls ist es schön und eine wirklich originelle Idee«, sagte sie. »Ganz gleich,
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