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Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Titel: Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht
Autoren: Kai Meyer
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in dünner werdendem Weiß auf dem dunkeln Stein aus, wie Federn aus einem aufgeplatzten Daunenkissen.
    »Es beherrscht mich nicht.« Seit seinem Bad im Licht klang die Stimme des Löwen noch ehrfurchtgebietender. »Es ist mein, aber ich bin nicht sein.«
    Seine Augen sagten: Noch nicht.
    Vielleicht nur eine Täuschung, mit einem Blinzeln verschwunden. Bitte, bitte, bitte, dachte Merle.
    Hinter ihnen surrten Flügel in der Finsternis, langsam, behäbig, und als Merle und Vermithrax sich umschauten, schwebte Burbridge auf seinem Lilim im Halbdunkel. Der Spiralkörper der Kreatur schwankte und zitterte, ihre Augen schillerten noch mehr als zuvor, und Merle sah, dass sie mit Eis überzogen waren.
    Du hast Recht gehabt, dachte sie. Der Lilim friert.
    » Natürlich «, sagte die Königin.
    Das Wesen kam nicht näher, hielt sich mühsam in der Luft, keine zwanzig Meter von ihnen entfernt und auf einer Höhe mit der Balustrade.
    Burbridge sah sie nur an. Alle Freundlichkeit war aus seinen Zügen gewichen. Der Rest seines Lilimtrupps war nicht mit ihm gekommen. Ihm musste klar sein, dass er Gefahr lief, von Vermithrax angegriffen zu werden.
    Dennoch war er hier.
    »Merle«, sagte er. »Kennst du ihren Namen? Ich kann dir ihren Namen verraten…«
    Wessen Name meinte er? Den Namen der Fließenden Königin? Aber was - Ein Windstoß ließ die Schneewehe aufstieben. Weiße Flocken, hart gefroren wie Glassplitter, trieben über die zerfetzte Kante der Balustrade tiefer in die Dunkelheit hinein. Der Lilim erbebte und zog sich zurück.
    Burbridge sagte nichts mehr, schüttelte nur langsam den Kopf. Merle hatte das Gefühl, dass die Geste nichts mit dem Lilim zu tun hatte. Nur mit ihr.
    Dann trat er der Kreatur in die Flanken, der schlanke Körper drehte sich schwerfällig und sank zurück in die Tiefe, zum Riss im Boden und durch ihn hindurch in den Treppenschacht.
    Merle löste ihren Blick vom Abgrund und sah wieder ins Gesicht der bewusstlosen Junipa. Ihre Lider waren jetzt geschlossen, aber durch zwei winzige Spalte schimmerte es silbern. Merles Hand wanderte auf Junipas Brustkorb. Keine Wärme, kein Herzschlag. Aber für einen Augenblick hatte sie den Eindruck, als ströme Licht zwischen ihren Fingern hindurch, ein Fächer aus Helligkeit. Aber er verblasste, ehe sie sicher sein konnte, dass es keine Täuschung war.
    Sie würde Junipa helfen. Irgendwie würde sie ihr helfen.
    Was hatte Burbridge wohl gemeint? Ihr Name …
    Vermithrax setzte sich in Bewegung und trug sie ins Freie.
    Gleißende Helligkeit erwartete sie, so als hätte das Steinerne Licht auch die Oberwelt erfasst. Aber es waren nur das Weiß der Landschaft und das Weiß des Himmels. Schneewolken verdeckten die Sonne. Die Ebene, die sich tief unter ihnen erstreckte, war unter einer hohen Schneeschicht begraben.
    »Winter«, flüsterte Merle.
    »Mitten im Sommer?«
    »Winter. Er ist hier.«
    Die Königin zögerte. »Du meinst …?«
    »Er hat die Wahrheit gesagt. Er ist vor uns hergekommen.«
    Sie standen hoch über der Eisebene, und der Wind biss schmerzhaft in Merles Gesicht. Sie war längst völlig durchgefroren und hatte geglaubt, es könnte nicht schlimmer kommen. Doch schon jetzt spürte sie, dass die Kälte sie umbringen würde, wenn sie sich nicht bald an einem Feuer aufwärmte. Ihre Hände schoben sich wie von selbst in die Taschen ihres Kleides. Ihre Rechte berührte den ovalen Rahmen des Spiegels, auch er war kalt wie Eis. Nur das Wasser in seinem Inneren fühlte sich so beruhigend warm an wie immer.
    Sie hatte angenommen, sie stünden auf einem Berg, einige Dutzend Meter über der Ebene. Doch als sie sich jetzt umschaute, wurde sie eines Besseren belehrt. Der verschneite Untergrund war glatt, aber es war keine Balustrade wie im Inneren der Halle.
    Es war eine Stufe. Die Schräge, an der sie hinabblickte, bestand aus dutzenden solcher Stufen, jede einzelne mehrere Meter hoch.
    »Merle!« Vermithrax’ Stimme ließ sie aufschauen. »Am Horizont.«
    Blinzelnd folgte sie seinem Blick, schier geblendet von der Unendlichkeit des Schnees. Nachdem sich ihre Augen einigermaßen an die Helligkeit gewöhnt hatten, erkannte sie Formen in der Ferne. Zu spitz und symmetrisch für Berge. Sie waren aus den gleichen Stufen errichtet wie jene, auf der sie standen.
    Merle drehte den Kopf und blickte hinter sich bergauf. Die Stufenschräge wurde nach oben hin schmaler, endete in einer Spitze.
    » Pyramiden «, sagte die Königin.
    Merle bekam kaum noch Luft, vor Kälte, aber
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