Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Titel: Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
redeten, ganz ohne Gebärden, nur mit Worten und Tönen und seltsamen Silben.
    Schließlich kehrte Unke zu Serafin zurück, und gemeinsam gingen sie zu Dario, Tiziano und Aristide. Auch Lalapeja schloss zu ihnen auf.
    »Um es kurz zu machen«, sagte Unke, »es hat einen Kampf zwischen zwei verfeindeten Meerhexen gegeben. Die ältere hat verloren - auf ihr stehen wir gerade. Die andere, eine junge Hexe, obwohl sie älter ist als wir alle - Lalapeja natürlich ausgeschlossen« - Unke schenkte der Sphinx ein halbherziges Lächeln -, »die jüngere also beansprucht diesen Teil der Untersee für sich.«
    Untersee. Serafin hörte diesen Begriff zum ersten Mal, und er beschwor Bilder der Subozeanischen Reiche herauf, Bilder, die kein Mensch je gesehen hatte und die doch jeder aus seiner Vorstellung kannte. Bilder aus Legenden, aus Märchen, aus uralten Mythen.
    »Wir sind in ihr Herrschaftsgebiet eingedrungen.« Unke sah nervös aus, obwohl der Klang ihrer Stimme anderes vermuten ließ. »Und nun will sie mit uns sprechen. Nicht mit uns allen. Aber sie will, dass zwei von uns die Meerjungfrauen begleiten, um ihr Rede und Antwort zu stehen.«
    Ein Raunen ging durch die Gruppe. Nur Serafin und Lalapeja schwiegen.
    »Um ehrlich zu sein«, sagte Unke, »bin ich ziemlich erstaunt. Meerhexen sind nicht dafür bekannt, mit Menschen zu verhandeln. Sie fressen sie, oder tun weit Schlimmeres mit ihnen. Aber sie reden nicht mit ihnen. Zumindest bis heute.«
    »Fressen«, wiederholte Tiziano leise, und Aristide wurde aschfahl.
    »Was schlägst du vor?«, fragte Lalapeja.
    »Wir gehorchen«, sagte Unke. »Was sonst?«
    Dario blickte auf das gute Dutzend Köpfe, das wie Treibgut auf den Wellen tanzte. »Sie können nicht hier raufkommen, oder?«
    »Nein«, sagte Unke. »Aber sie können den Kadaver nach unten ziehen. Oder einen hungrigen Leviathan bitten, ihn unter unseren Füßen zu verspeisen.«
    Dario wurde blass.
    »Ich gehe mit ihnen.« Unkes Entschluss stand fest. »Sie haben Tauchhelme dabei.«
    Lalapeja seufzte. »Ich begleite dich.«
    »Nein«, sagte Unke. »Nicht du.«
    Und dann sah sie Serafin fest in die Augen.
    Er blickte hinab auf das Wasser, dann zurück auf die Freunde, Dario, Tiziano, Aristide, die ihn anstarrten, und schließlich kreuzte er wieder Unkes Blick.
    »Ich?« Er war nicht einmal sicher, ob er die Frage laut stellte oder ob sie nur in seinem Kopf widerhallte.
    Und abermals Bilder: ein mächtiger Schatten, achtzig, hundert Meter lang; ein weißer Leib, der sich allmählich aus nachtschwarzer Finsternis schält; Augen, die in der Tiefe mehr als nur Fische gesehen haben; darin unendliche Weisheit, unendliche Tücke.
    Serafin nickte langsam.

Freundinnen

    Teerwinde fegten um die Flanken des Turms, wehten Staub von Fenstersimsen und pfiffen in Spalten und Rissen, sangen mit den Stimmen der Verlorenen. Zum ersten Mal kam Merle der Gedanke, dass dies vielleicht doch die Hölle der Bibel und nicht nur ein Hohlraum im Inneren der Erde war: Die Wahrheit der Mythen unter einer Kruste aus Fels und Sand und Dämmerlicht.
    Der Turm hatte drei Wände, die sich nach oben allmählich verjüngten, wie eine gewaltige Lanzenspitze, die jemand in der Einöde aufgepflanzt hatte. Entsprechend scharf waren seine Kanten. Als Merle durch eines der Fenster ins Innere blickte, konnte sie im Halbdunkel Stufen aus Stein erkennen. Sie fragte sich, wie verwinkelt eine Treppe mit einem dreieckigen Grundriss sein musste, und war froh, dass Vermithrax sie an der Außenseite nach oben trug.
    Der Obsidianlöwe hielt sich nahe an der Wand, nur wenige Meter von dem dunklen Gestein entfernt. Merle sah Insekten, die kreuz und quer darauf umherliefen, und andere, größere Wesen, die ihre Haut wie Chamäleons an den Untergrund anpassten und reglos verharrten, sonnenbadende Reptilien in einem Land ohne Sonne.
    » Merle «, sagte die Fließende Königin, »tu mir einen Gefallen, und schau auf den Falken. Ich will wissen, wohin genau er fliegt.«
    Pflichtschuldig wandte sie ihren Blick nach oben. Der Vogel schoss nah an der Turmwand hinauf, viel steiler, als es Vermithrax möglich war. Der Löwe musste Acht geben, dass er sich nicht allzu sehr aufrichtete, sonst lief er Gefahr, Merle und Junipa von seinem Rücken zu verlieren. Auch so schmerzten Merles Arme von der Belastung, mehr noch, weil sie zusätzlich Junipas Gewicht halten mussten.
    Aus den unterschiedlichsten Gründen konnten auch die Lilim auf ihren Fersen nicht steiler an der Wand emporfliegen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher