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Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Titel: Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht
Autoren: Kai Meyer
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versucht. Aber das war vor tausenden von Jahren, im Zeitalter der Subozeanischen Kulturen.«
    Die Subozeanischen Kulturen. Die Worte klangen nach in Merle, auch als die Stimme der Königin längst verstummt war. Nachdem sie die Fließende Königin aus den Händen eines ägyptischen Spions befreit hatte, hatte sie erst angenommen, das sonderbare Wesen sei eine Überlebende der Subozeanischen Reiche, von denen es hieß, dass sie einst unfassbar mächtig gewesen waren. Doch die Königin hatte das abgestritten, und Merle glaubte ihr. Es wäre zu einfach gewesen.
    Niemand vermochte eine Wesenheit wie sie völlig zu durchschauen, nicht einmal Merle, die der Königin seit ihrer gemeinsamen Flucht aus Venedig näher war als jeder andere.
    Merle riss sich aus ihren Gedanken. An Venedig zu denken hieß auch an Serafin denken, und das tat jetzt einfach zu weh.
    Angestrengt spähte sie über Vermithrax’ schwarze Mähne hinweg. Vor ihnen erhoben sich die Felsnasen hoher Berge. Das Land war schon vor geraumer Zeit hügelig geworden und stieg jetzt immer steiler an. Sie würden das Gebirge bald erreichen. Angeblich befand sich ihr Ziel nur ein Stück weit dahinter.
    »Da liegt ja Schnee!«
    »Was hast denn du gedacht?«, fragte der Obsidianlöwe amüsiert. »Sieh mal, wie hoch wir hier sind. Es wird noch ziemlich kalt werden, ehe wir auf der anderen Seite ankommen.«
    »Ich hab noch nie Schnee gesehen«, sagte Merle nachdenklich. »Die Leute behaupten, es habe seit Jahrzehnten keinen echten Winter mehr gegeben. Und keinen Sommer. Frühling und Herbst gehen einfach ineinander über, irgendwie.«
    »Während meiner Gefangenschaft im Campanile hat sich anscheinend nichts verändert.« Vermithrax lachte wieder. »Die Menschen beschweren sich noch immer von morgens bis abends über das Wetter. Wie können sich so viele Köpfe so viele Gedanken über etwas machen, das sie ohnehin nicht beeinflussen können?«
    Merle fiel keine Antwort ein. Erneut benutzte die Königin ihre Stimme: »Vermithrax! Dahinten, am Fuß dieses Berges… Was ist das?«
    Merle schluckte, als könnte sie den unliebsamen Einfluss, der ihre Zunge kontrollierte, einfach hinunterwürgen. Sofort spürte sie, wie sich die Königin aus ihrem Mund zurückzog, ein Gefühl, als entwiche für die Dauer eines Lidschlags alles Blut aus ihrer Zunge und den Wangen.
    »Ich seh’s auch«, sagte sie. »Ein Vogelschwarm?«
    Der Löwe knurrte. »Ziemlich groß für einen Vogelschwarm. Und viel zu massiv.«
    Der dunkle Schatten, der wie eine Wolke über einem Teil der Bergflanke schwebte, war scharf umrissen. Die Entfernung mochte noch einige tausend Schritt betragen, und im Vergleich zu den riesenhaften Felsgiganten im Hintergrund wirkte das Ding, das sich dunkel von den Hängen abhob, nicht mal besonders beeindruckend. Aber schon jetzt ließ sich erahnen, dass sich dieser Eindruck ändern würde, wenn sie erst näher heran waren. Oder das Ding auf sie zukam.
    »Achtung!«, rief Vermithrax.
    Er verlor so abrupt an Höhe, dass Merle das Gefühl hatte, ihre Eingeweide würden durch die Ohren nach außen gepresst. Einen Moment lang war ihr speiübel. Sie wollte den Obsidianlöwen gerade anfauchen, als sie sah, was ihn zu dem Manöver veranlasst hatte.
    Eine Hand voll winziger Punkte umschwirrte den großen Umriss, helle Tupfen, die im Licht der untergehenden Sonne glühten, als hätte jemand Goldstaub über einem Landschaftsgemälde ausgestreut.
    »Sonnenbarken«, sagte die Königin in Merles Gedanken.
    Jetzt haben sie uns, dachte Merle. Sie haben uns den Weg abgeschnitten. Wer hätte ahnen können, dass wir immer noch so wichtig für sie sind? Gewiss, sie war die Trägerin der Fließenden Königin, des Schutzgeistes, der in den Gewässern der Lagune gelebt und Venedig vor den ägyptischen Eroberern bewahrt hatte. Aber das war jetzt vorbei. Die Stadt war unwiderruflich in der Gewalt der Tyrannen.
    »Es muss Zufall sein, dass wir ihnen begegnen«, sagte die Gedankenstimme der Fließenden Königin. »Sieht nicht so aus, als hätten sie uns bemerkt.«
    Merle musste ihr Recht geben. Die Ägypter hätten sie nicht so schnell überholen können. Und selbst wenn es ihnen gelungen wäre, einen Teil ihrer Streitkräfte in dieser Region zu alarmieren, hätten sie die Flüchtlinge gewiss nicht weithin sichtbar vor dem Schneefeld eines Gletschers erwartet. »Was tun sie hier?«, fragte Merle.
    »Das Große muss ein Sammler sein. Eine ihrer fliegenden Mumienfabriken. «
    Vermithrax schoss jetzt
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