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Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Titel: Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht
Autoren: Kai Meyer
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schimmerte silbrig, so als hätte ihr ganzer Leib begonnen, sich in einen Spiegel zu verwandeln. Aber das war nur eine Täuschung. Nur ihre weiße, glatte Haut.
    »Hier«, sagte sie.
    In der Dunkelheit war die Narbe kaum mehr als ein Strich, ein Schatten.
    Kreuzstich.
    Merles Stimme klang so fern wie das Rauschen von Vermithrax’ Schwingen. »Du warst im Herzhaus.«
    Junipa nickte.
    »Aber warum sieht man nichts? Die Wunde…«
    Junipa knöpfte das Kleid wieder zu. »Ein Herz aus Licht heilt alle Wunden.« Es klang wie auswendig gelernt, eine Zeile aus einem schlechten Gedicht. Aber dann sah Merle, dass sich die Verletzung an Junipas Knie geschlossen hatte. Nur noch ein dunkler Fleck und ein paar Streifen aus getrocknetem Blut.
    Sie suchte nach Wut in ihrem Inneren, nach Hass auf Burbridge, auf den Chirurgen und deren ganze verfluchte Brut. Doch stattdessen waren da nur Trauer und unendliches Mitleid für Junipa. Ein blindes Waisenmädchen, dem man kaltes Spiegelglas als Augen eingesetzt hatte und nun auch noch ein neues Herz. Ein Herz aus Steinernem Licht. Sie wurde manipuliert und verändert nach dem Gutdünken anderer. Und dabei nahm man ihr alles, was sie selbst war.
    »Du kannst ihr nicht helfen«, sagte die Königin.
    Sie ist immer noch meine Freundin.
    » Lord Licht kontrolliert sie. So wie das Steinerne Licht ihn kontrolliert. Oder sie beide.«
    Sie ist meine Freundin. Ich kann sie nicht aufgeben.
    » Merle .« Die Stimme der Königin klang beschwörend, aber auch mitfühlend. »Du kannst ihr das Herz nicht wieder aus der Brust reißen.«
    Ich nicht. Aber vielleicht irgendein anderer. Wir müssen es versuchen.
    »Du willst sie mitnehmen?«
    Merle gab keine Antwort. Stattdessen ergriff sie Junipas Hände und war selbst erstaunt, dass das Mädchen es geschehen ließ. Vielleicht ein gutes Zeichen. »Junipa, hör zu. Du darfst ihm nicht gehorchen. Egal, womit er dir droht. Wir finden einen Weg, dir zu helfen.«
    »Droht?« Junipa runzelte verständnislos die Stirn. »Aber er droht mir doch nicht.«
    Merle atmete tief durch. In der Ferne sah sie Vermithrax’ Lichtschein über die Hallenwände geistern. Doch sie wollte ihn jetzt nicht rufen, aus Angst, Junipa darüber völlig zu verlieren. Immerhin redete sie mit ihr und versuchte nicht, sie anzugreifen. Vielleicht steckte noch mehr von der alten Junipa in ihr, als die Königin glaubte.
    Merle zwang sich zu einem Lächeln. »Lass uns von hier verschwinden.«
    »Wir warten«, sagte Junipa.
    »Junipa, bitte.«
    Das Mädchen riss die Arme zurück, blickte einen Moment lang verständnislos von einer Hand zur anderen und kam dann auf Merle zu.
    Mit einem Aufschrei wich Merle zurück, prallte gegen Stein, wurde von Junipa am Arm gepackt und bekam ihrerseits Junipas Handgelenk zu fassen. Merles Instinkt befahl ihr, loszulassen, zurückzuweichen, fortzulaufen und Vermithrax herbeizurufen; auch die Fließende Königin redete auf sie ein, flehte sie an, Junipa aufzugeben, zu fliehen, sich in Sicherheit zu bringen.
    Aber das Mädchen vor ihr war ihre beste Freundin. Und es konnte nichts für das, was mit ihm geschehen war.
    Merle wich erneut Junipas Linker aus. Es war kein ernst gemeinter Angriff, keiner, der sie verletzen sollte. Junipa wollte sie aufhalten, vielleicht nur für ein paar Augenblicke, ein paar Minuten. Lange genug, bis Burbridge seine Lilim dazu gebracht hatte, die Kälte zu überwinden und ihre Opfer einzuholen. Sie konnte von hier aus den Riss nicht sehen, wusste nicht, ob Burbridge schon in der Halle war. Dann aber entdeckte sie wieder Vermithrax’ Lichtschein und sagte sich, dass er nicht dort oben wäre, falls ihr Feind bereits in der Nähe wäre.
    Plötzlich erhielt sie von Junipa einen Schlag, der sie in die Knie gehen ließ, sprang gleich wieder auf, und schleuderte ihre Gegnerin gegen die Trümmer. Junipas Kopf krachte auf harten Stein, prallte zurück wie ein Sprungball - dann brach sie zusammen und blieb bewegungslos liegen. Bevor sie sich aufrappeln konnte, hatte Merle ihren Rucksack vom Rücken gerissen, suchte etwas, irgendetwas, womit sie sich verteidigen konnte, warf Wasserflasche, Spiegel, Hühnerkralle achtlos auf den Boden. Und gab auf.
    Was hatte sie erwartet? Junipa mit kaltem Wasser aus diesem Albtraum reißen zu können? Langsam wandte Merle sich ihr zu, in der Gewissheit der Niederlage, ahnte, dass Junipa nicht eher aufgeben würde, ehe Burbridge sein Ziel erreicht hatte. Und wurde eines Besseren belehrt.
    Denn Junipa lag immer noch
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