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Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy

Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy

Titel: Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy
Autoren: Adaobi Tricia Nwaubani
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Auto ins Leichenhaus und sah ihn dort liegen, den Namen – samt Spitzname – auf einem Schild an seinem Zeh. Ich hielt mir den Kopf mit beiden Händen, taumelte aus dem kalten Raum und brach auf dem Korridor zusammen.
    Ein furchtbarer Gedanke, dass ich das letzte Igbo-Sprichwort gehört haben sollte und meine Ohren nie wieder vor seinem donnernden »Sprich!« zu schützen haben würde. Wie konnte Cash Daddy tot sein? Der Mann, der mich unter seine Fittiche genommen hatte. Der Mann, der mir ein neues Leben geschenkt hatte. Der Mann, der mir eine Gelegenheit geschenkt hatte, mich zu beweisen, als alle anderen nichts von mir wissen wollten. Ich hatte nicht nur einen Onkel und einen Chef verloren, ich hatte einen Vater verloren.
    Auch für Abia wäre Cash Daddy gut gewesen. Cash Daddy liebte sein Volk wirklich von Herzen. Mag sein, dass er sich mit der Zeit eine Milliarde oder zwei für eigene Zwecke abgezweigt hätte, aber wir hätten auf jeden Fall ebenfalls profitiert. Wir hätten bessere Straßen bekommen. Wir hätten funktionierende Wasserleitungen bekommen. Wir hätten einen Volksvertreter gehabt, der es nicht ertragen konnte, wenn seine Brüder und Schwestern Not litten. Abia hatte soeben den besten Gouverneur verloren, den wir je hätten haben können. Mein Wehklagen wurde lauter.
    Schließlich tippte mich ein älterer Mann, ein Mitarbeiter des Leichenhauses, ein Mittrauernder oder – wer weiß – ein Gespenst auf die Schulter.
    »Seien Sie ein Mann«, sagte er streng. »Seien Sie ein Mann und trocknen Sie Ihre Tränen.«
    Er blieb neben mir stehen, bis ich mir die Augen wischte und aufstand. Erst da fiel mir auf, dass ich barfuß war und nur Boxershorts und ein T-Shirt anhatte.
    Ich mochte nicht nach Hause fahren. Ich fuhr zur Firma und war verblüfft. Das Tor und die Eingangstür waren mit riesigen Vorhängeschlössern zugesperrt.
    Hatte womöglich das Amt für Wirtschaftsverbrechen unsere Büroräume verschlossen? Oder das FBI? Hatten unsere Freunde bei der Polizei uns so rasch verlassen, kaum dass Cash Daddy von uns gegangen war? Mit Panik im Herzen rief ich Protocol Officer an.
    »Ich habe die Schlösser vorgehängt«, sagte er mit tränenerfüllter, aber fester Stimme. »Ich will nicht, dass Cash Daddys Sachen in falsche Hände geraten. Es soll niemand hineinkönnen.«
    Ich staunte, dass er selbst in einem Moment wie diesem so effektiv zu handeln vermochte. Er musste unmittelbar, nachdem er vom Tod seines Chefs erfahren hatte, losgefahren sein. Andererseits war es kein Wunder, dass ich paranoid war. Erst Azuka, nun Cash Daddy. Wer konnte wissen, wo als Nächstes der Blitz einschlagen würde?
    Vielleicht war das unsere Strafe für all die Mugus. Ich schob den Gedanken beiseite. Meine einzigen Vergehen waren die gegen die Menschen, die ich liebte. Im Kopf spielte ich mein Verhalten gegenüber Godfrey und meiner Mutter noch einmal durch. Ich wurde von Scham überwältigt. Sie hatten recht, ich war dabei, zu einem Teufel zu mutieren.
    Nein, ich war ein Teufel.
    Als ich wieder zu Hause war, rief ich Merit an.
    »Merit ist beschäftigt«, sagte ihr Bruder ruhig.
    Auch als ich zum fünften Mal anrief, war sie noch beschäftigt.
    Ich zog mich an und fuhr zu ihr. Ich war versucht, am Tor zu klopfen, um meinen Besuch anzusagen, aber Merit hätte mich lebenslänglich gehasst, wenn ihre Eltern mich zu Gesicht bekommen hätten. Deswegen wartete ich draußen und hoffte. Zu meiner Freude ging nach circa zwei Stunden das Tor auf, und ihr dünner Bruder tauchte auf. Er trug nur ein Unterhemd, Jeans und Badelatschen, so als wollte er bloß kurz vor die Tür.
    »Hallo«, rief ich ihm zu.
    Als er mich sah, erstarrte er und huschte dann wieder hinein wie eine Maus, die mitten auf dem Küchenfußboden erwischt wird, wenn plötzlich das Licht angeht. Ich wartete noch eine Stunde, ohne dass jemand hineinging oder herauskam. Schließlich fuhr ich weg.
    Meine Reise nach Umuahia, um mit meiner Mutter zu reden, blies ich ab. Was hatte ich schon zu sagen? Ich schloss mich in mein Schlafzimmer ein und starrte bis zum Dunkelwerden an die Decke. Mithilfe zweier kleiner Tabletten hatte ich seither ungefähr drei Stunden die Nacht geschlafen.
    Dennoch war meine tiefe Trauer gewiss nichts gegen das, was Protocol Officer durchmachte. Ich hatte immer gemeint, dass er den Spitznamen Graveyard viel eher verdient hätte als ich, aber heute redete und redete und redete er. Zwischendurch schluchzte er. An irgendeinem Punkt legte ich ihm die
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