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Die Masken der Wahrheit

Die Masken der Wahrheit

Titel: Die Masken der Wahrheit
Autoren: Barry Unsworth
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ist.«
       »Wir brauchen sogar dringend einen, das ist ja der springende Punkt«, sagte der Prinzipal. »Wir haben das ›Stück von Adam‹ geprobt, und wir werden es als erstes aufführen, wie wir uns alle einig waren. Aber mit weniger als sechs Leuten geht das nicht, wobei drei von uns ohnehin zwei Rollen spielen müssen. Dieser Mann kam zu uns gleichsam als ein Wink des Schicksals, wie die Tugenden und Laster in einem Maskenspiel. Er kam, als Brendan starb, und das sollten wir uns zunutze machen. Das ist mein Wort als der Spielmeister unserer Truppe, zu dem ich auf den Befehl unseres adeligen Herrn bestimmt bin. Und so werden wir es halten, Leute, wenn keiner etwas dagegen hat.«
       Für kurze Zeit herrschte Schweigen, dann nickten sie alle nacheinander, als der Prinzipal sie anschaute. Zu der Frau blickte er nicht hin. Nachdem alle ihrer Zustimmung Ausdruck verliehen hatten, drehte er sich zu mir herum und fragte mich nach meinem Namen. Ich nannte ihn – Nicholas Barber –, und er nannte mir den seinen – Martin Ball – und sagte mir überdies, wie die anderen hießen. Der Hellhaarige wurde nur Straw gerufen, und den Knaben nannten sie Springer, doch ob dies ihre wirklichen Namen waren, weiß ich nicht. Der Alte hieß Tobias. Die Frau sagte, ihr Name sei Margaret Cornwall.
       Und so wurde ich mit einem Lied und einem Fangenspiel, wie man es von Kindern kennt, zum Mitglied dieser Truppe von Goliarden gewählt, und ich nahm die Wahl an. Hätte ich mich geweigert und die anderen dort auf der Lichtung zurückgelassen, mit dem toten Brendan samt all seinen Sünden, so könnte ich jetzt wohl wieder Subdiakon sein, erneut versehen mit allen Privilegien, und könnte wieder in meinen Büchern in der Bibliothek der Kathedrale stöbern. Aber sei dem, wie es sei – die Schrecken, die noch immer nächtens zu mir kommen, wären mir ohne Zweifel erspart geblieben.

Kapitel zwei 
     s ist der schwache Punkt meiner Verteidigung, daß ich Vergebung nur erbitten kann, indem ich die Zwangslage enthülle, in die ich geraten war. Aber diese wiederum war die Folge meiner eigenen Torheit und Sünde. Und so ersuche ich um Nachsicht für einen Fehler, indem ich vorausgegangene Fehler offenbare. Und diesen Fehlern wiederum waren andere vorausgegangen. Es ist eine Aneinanderreihung, deren Ende ich nicht zu sehen vermag und die zurückreicht bis in den Schoß meiner Mutter. 
       Zunächst war da die Schande, meinem Bischof Kummer zu bereiten, der mir die Tonsur verliehen hatte und immer wie ein Vater zu mir gewesen war, denn dies war nicht das erste Mal, daß ich ohne Erlaubnis verschwunden war, sondern bereits das dritte, und stets war es in der Maienzeit gewesen, wenn das Blut in Wallung gerät. Diesmal war der Grund zwar ein anderer, doch der Aufruhr des Blutes war derselbe; man hatte mich ausgesandt, Sir Robert de Brian als Sekretär zu dienen, einem edlen Ritter und großzügigen Wohltäter, dessen Geschmack in literarischen Dingen jedoch zu wünschen übrig ließ – kurzum, ein recht miserabler Poet, der mir die Aufgabe übertrug, seine umfangreichen Verse ins reine zu schreiben; und so schnell ich sie auch kopierte, hatte er bereits wieder weitere bei der Hand. Das alles nahm ich klaglos hin. Dann aber beauftragte er mich zusätzlich damit, Pilatos langatmige Version Homers zu transkribieren. Die Vögel sangen aus voller Kehle, der Weißdorn blühte, und ich schnürte mein Ränzel und verließ das herrschaftliche Haus. Als ich den Schauspielern begegnete, schrieben wir Dezember, und die Blumen des Frühlings waren längst verwelkt. Mißgeschicke hatten mich gebeutelt. So hatte ich die heili ge Reliquie verloren, die ich seit einigen Jahren bei mir trug und die ich von einem Kirchenmann erworben hatte, der damals gerade erst aus Rom zurückgekehrt war. Es war ein Stück des Segels vom Fischerboot des heiligen Petrus. Ich verlor es beim Würfelspiel. Und dann, an eben jenem Morgen, als ich die Schauspieler traf, büßte ich meinen guten Umhang ein; denn ich hatte ihn bei meiner feigen Flucht zurückgelassen. So war ich bis auf die Knochen durchgefroren, als ich auf die Theatertruppe stieß, hungrig und von den Schlägen des Schicksals gebeutelt. Ich wollte wieder zu einer Gemeinschaft zählen, wollte nicht länger allein sein. Die Truppe der Schauspieler bot mir Zuflucht, obwohl diese Leute selbst arm und halb verhungert waren. Dies war mein wahrer Antrieb. Die Sache mit dem adelsherrlichen Wappen war nur eine
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