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Die Masken der Wahrheit

Die Masken der Wahrheit

Titel: Die Masken der Wahrheit
Autoren: Barry Unsworth
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die ich mit den Theaterleuten zusammen war, sah ich Stephen nur ein einziges Mal lächeln.
       »Mit guten Werken wird der Teufel nichts anfangen können, Bruder, wohl aber mit forschen Reden«, meinte der Ältere. Der Hund saß dicht bei ihm und lauschte auf jedes seiner Worte. Der ältere Mann wies in meine Richtung und klatschte in die Hände. »Los, sing!«
       Und so bot ich ihnen auf der Lichtung ›Der Lenzen ist nun kommen mit Liebe in die Stadt‹ dar, zuerst ohne Begleitung; dann spielte der Knabe die Melodie auf einer Rohrpfeife mit, die er irgendwo hervorgeholt hatte.
       Als ich fertig war, nickte der Prinzipal mit dem Kopf. Er drehte sich um, ging zu dem Karren und nahm sich zwei Stoffbälle, wie Jongleure sie benutzen, einen roten und einen weißen; dann rief er mir zu, ich solle sie auffangen, und schleuderte mir im gleichen Atemzug den roten Ball zu. Ich fing den Ball mit der rechten Hand, und er warf den weißen Ball zur anderen Seite, höher diesmal und ein Stückchen weiter von mir entfernt, so daß ich zwei Schritte machen mußte. Auch den zweiten Ball fing ich und hielt ihn fest. Irgend jemand stellte den Fuß auf meine linke Ferse, während ich noch aus dem Gleichgewicht war, und ich stolperte, fiel aber nicht.Wieder nickte der Prinzipal und sagte zu den anderen, ohne mich dabei anzusehen: »Er ist schnell genug und bewegt sich geschmeidig; überdies sieht er nach beiden Seiten gut und tritt sicher auf. Und seine Stimme ist zu ertragen. Zwar wird aus ihm kein zweiter Brendan, doch wenn er dazulernt, müßte es reichen.«
       Dieses Lob, wenngleich nicht gerade üppig, bereitete mir Freude, was mir wiederum zur Schande gereicht. Doch der Mann hatte irgend etwas an sich, irgendeine Kraft des Geistes, die in mir den Wunsch erweckte, sein Gefallen zu finden. Vielleicht aber, so kommt es mir heute vor, war es nur die Tiefe und Stärke seines Wunsches, die mich antrieb. Männer unterscheiden sich durch die Kraft ihres Wollens. Was dieser Mann wollte, wurde gleichsam sein Reich und seine Speise, und vom ersten Augenblick seines Verlangens an herrschte er darüber und nährte sich davon. Zudem hatten aufgrund der Verkehrtheit unserer Natur die Proben, denen er mich unterzog, in mir das Verlangen geschürt, zu gefallen, obwohl ich mir der Sündhaftigkeit dieses Unterfangens bewußt war.
       Jetzt schaute er die Frau an und lächelte leicht – ein Lächeln, das sein Gesicht jung erscheinen ließ. »Wir haben Margaret bei uns aufgenommen, weil Stephen es so wollte, und einen streunenden Köter für Tobias. Warum nicht jetzt einen flüchtigen Priester, der für uns alle von Nutzen sein könnte?«
       Er war der Anführer der Truppe, und doch mußte er die anderen erst überreden. Wie ich noch erfahren sollte, wurde alles, was das Leben dieser Leute als Schauspieler berührte, von gleich zu gleich unter ihnen besprochen.
       »Man wird ihn an der Tonsur erkennen«, sagte Stephen. Die Frau gehörte zu ihm; sie war nicht für alle verfügbar, wie ich zuerst angenommen hatte. Ich erkannte es daran, wie sie sich an ihn hielt und seinen Worten lauschte. Doch sie hatte auch Augen für mich, spöttisch zwar, aber so spöttisch nun auch wieder nicht, und so faßte ich auf der Stelle den Entschluß, diese Blicke, sollte ich in die Theatertruppe aufgenommen werden, nicht zu erwidern, um der Sünde zu entfliehen. Außerdem war Stephen gefährlich. »Man wird ihn als Flüchtigen erkennen«, sagte er jetzt und kehrte sein dunkles Gesicht der Reihe nach den anderen zu.
       »Ja«, sagte der Bursche in dem weißen Gewand. »Er ist ohne Erlaubnis seiner Oberen unterwegs, sonst würde er nicht versuchen, sich uns anzuschließen. Man könnte ihn in jeder beliebigen Gemeinde festhalten, und dann würden sie dort unser Theater schließen.«
       »Ein Hut. Er könnte einen Hut tragen«, sagte der Alte. Er schien überhaupt nicht auf das Gespräch geachtet zu haben; statt dessen schubste er spielerisch den Hund herum, sehr zum Vergnügen des Tieres. »Sein Schopf wird schon bald wieder nachwachsen«, sagte er. »Anders als bei mir.« Grinsend entblößte er sein schlechtes Gebiß und fuhr sich mit einer Hand über das schüttere Haar und die wettergegerbte Kopfhaut. »Er hat das Zeug zum Schauspieler – Priester hin oder her«, sagte er. »Er möchte sich unserer Truppe anschließen; das steht ihm ins Gesicht geschrieben. Und wir brauchen einen sechsten Mann, jetzt, wo der arme Brendan nicht mehr unter uns
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