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Die Masken der Wahrheit

Die Masken der Wahrheit

Titel: Die Masken der Wahrheit
Autoren: Barry Unsworth
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einmal mehr die Hälfte der Bevölkerung. Und nur wenige Menschen wissen, wo ihre geliebten Verstorbenen begraben sind. Und doch gab es diesen Streit wegen eines armseligen Schauspielers.
       Aber jetzt, wie auch später, wurde nur noch wenig über Brendan gesprochen. Die anderen hatten sein Epitaph gesungen. Auch fiel kein weiteres Wort darüber, ob Brendan auf dem Karren mitgenommen werden sollte. Er wurde an Ort und Stelle hinaufgehoben. Man legte ihn zwischen die Masken und Kostüme, mit einer Seilrolle als Kopfkissen, und bedeckte ihn mit Stücken von scharlachrotem Tuch, das die Schauspieler dabei hatten, um daraus für den Hintergrund der Bühne einen Vorhang zu machen. Dann begaben wir uns auf den Weg. Und so begann mein Leben als Schauspieler.

Kapitel drei 
     ährend der nächsten Tage blieb Brendan auf dem Karren, und wir bedeckten ihn mit Brettern und Sacktuch, um ihn vor den Ratten auf den Höfen der armseligen Herbergen zu schützen, in denen wir übernachteten; manchmal auf Stroh in den Stallungen, manchmal alle zusammen auf Schlaflagern in den verwanzten Zimmern von Bruchbuden, die sich Gasthöfe nannten. Martin bezahlte alles aus der gemeinsamen Kasse. Er trug den Geldgürtel stets am Körper und seinen Dolch immer in Reichweite. Die Börse war mager; überdies waren da die Kosten für Brendans noch ausstehendes Begräbnis. Keiner der Schauspieler hatte mehr Geld übrig – außer Tobias, denn er war geizig. Die anderen hatten ihren Anteil an den Einnahmen längst ausgegeben. In diesen Tagen kamen wir durch keinen Ort, der Einwohner genug besaß, daß eine Vorstellung sich gelohnt hätte; die Pest und Plünderungen hatten Dörfer zu Weilern schrumpfen lassen; halb zerstörte Häuser standen leer, und dichter Trümmerschutt bedeckte die Straßen. Es schneite zwar nicht, doch das Wetter war kalt und bewahrte Brendans Leichnam vor der Verwesung. Die ganze Zeit über nahm Martin mich unermüdlich in die Lehre. Er redete zu mir, während wir dahinzogen. Meist gingen wir dabei alle hinter dem Karren, während abwechselnd einer die Aufgabe übernahm, das Pferd zu führen. Martin erzählte mir von den Eigenschaften, die ein Schauspieler besitzen muß: eine rasche Auffassungsgabe, behende Bewegungen und eine glatte Zunge für Rollen, die nicht ganz fertig geschrieben sind. Er zeigte mir die dreißig Handbewegungen, die alle Schauspieler erlernen müssen, und ließ sie mich üben; fortwährend tadelte er mich wegen meiner Plumpheit und der Steifheit meiner Handgelenke und Schultern. Es muß so natürlich und mühelos aussehen wie jede normale, gewohnte Bewegung der Glieder oder des Kopfes, wenn man die Gesten des Schauspielers vollführt. Wieder und wieder ließ Martin mich die Übungen machen, bis meine Bewegungen geschmeidig genug waren und der Winkel der Hände und die Stellung der Finger so, wie es sein sollte. Bei diesen Übungen verfuhr er so streng mit einem wie in allen anderen Dingen auch. Das kleinste Lob von ihm mußte man sich doppelt verdienen. Er war stolz auf seine Kunst und voller Leidenschaft, wenn er sie verteidigte – bei ihm war alles Leidenschaft. Schon sein Vater war Schauspieler gewesen und hatte ihn dazu erzogen.
       Keine Gelegenheit wurde ausgelassen, mich zu unterweisen. Gab es auf unserer Reise eine Unterbrechung, so trieb er mich zum Üben an. Machten wir zu Mittag eine Pause, um einen Brocken Käse mit Roggenbrot und Schweineblutwurst zu essen und ein Dünnbier zu trinken, wurde die Zeit ebenso genutzt wie der Abend, wenn wir unsere ärmlichen Quartiere bezogen. In seinem Eifer als Lehrer schüttelte Martin alle Müdigkeit ab. Er gab mir das Stück von Adam zum Durchlesen – zerfledderte Seiten in schlechter Handschrift –, und ich nahm mir vor, eine anständige Kopie anzufertigen, sobald die Zeit es erlaubte.
       Alle halfen mir, jeder auf seine Weise. Und jeder enthüllte dabei zugleich etwas von sich selbst. Straw war von Natur aus ein Mime, und ein sehr begabter obendrein. Er konnte Mann oder Frau sein, jung oder alt, ohne daß er dazu der Sprache bedurfte. Er war allein durch die Lande gezogen, bis Martin ihn auf einem Jahrmarkt gesehen und in die Theatertruppe aufgenommen hatte. Straw war ein seltsamer, leicht erregbarer Bursche, sehr sprunghaft in seinen Stimmungen, und es gab Zeiten, da starrte er nur düster vor sich hin. Einmal stürzte er zu Boden und krümmte und wand sich auf der Erde, und Springer hielt ihn und wischte ihm den Mund, bis er wieder zur
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