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Die Masken der Liebe

Die Masken der Liebe

Titel: Die Masken der Liebe
Autoren: Heinz G. Konsalik
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und lächelte. »Wenn ich mir vorstelle, daß sie jetzt womöglich auch auf irgendeiner Bank sitzt und in die Sterne sieht und wir deshalb die Polizei alarmiert haben und zu viert loszogen, muß ich schallend lachen. Was meinen Sie? Waren wir nicht Riesenidioten, uns von Elisabeth anstecken zu lassen?«
    »Immerhin hat ihr Wirbel uns beide hierher auf diese Bank geführt«, meinte Erich Kiel mit überraschend leiser Stimme. »Und dafür bin ich dankbar. Ich hätte sonst nie die Möglichkeit gehabt, zu sagen, was ich empfinde.«
    »Feigling!«
    »Mag sein. Darin ist wohl jeder Mann einmal ein Feigling. Nichts ist schwerer als der erste wirkliche Schritt in ein anderes Leben.«
    »Das soll ein Wort sein!« Anny von Borcken senkte den Kopf und blickte Erich Kiel voll und unbefangen an. »Soviel ich aus allem heraushöre, wollen Sie mir sagen, daß Sie mich lieben.«
    »Ja.«
    »Schön. Ich meine: theoretisch schön. Aber wie denken Sie sich das praktisch?«
    »Wie bitte?« Erich Kiel staunte. Praktisch, dachte er blitzschnell. Was meint sie mit praktisch?
    »Ich möchte wissen, was Sie als einen neuen Lebensanfang bezeichnen. Oder wollen Sie eine Ehe gründen auf der unsicheren Basis eines Vertreters ohne Kunden? Wie denken Sie sich das eigentlich?«
    »Ich habe Pläne.«
    Anny von Borcken winkte ab. »Pläne? Was sind Pläne? Realitäten, die sind für mich wichtig! Als unser Freund Heinz Konradi bei seinem Schwiegervater um die Hand Elisabeths anhielt und sagte, es seien drei Bücher von ihm im Druck, die im Laufe des Jahres erscheinen werden, lautete die Antwort des alten Herrn: ›Schön und gut – und wieviel kriegen Sie dafür?‹ Heinz war damals innerlich entrüstet über diese prosaische Art, aber der alte Herr hatte recht. Was kriegen Sie dafür, das ist im Leben entscheidend, nicht, was man sich erhofft. Von Hoffnungen allein konnten schon viele Genies nicht leben; sie sind verhungert, während der Mann, der am Tag zehntausend Nägel einschlug, sich nach zehn Jahren ein Haus bauen konnte.«
    Erich Kiel sann vor sich hin, dann seufzte er.
    »Was seufzen Sie?« fragte ihn Anny prompt.
    »Sie wissen, ich war aktiver Offizier …«
    »Das nützt Ihnen heute gar nichts mehr.«
    »Eben.«
    »Waren Sie in Gefangenschaft?«
    »Ein halbes Jahr.«
    »Und dann? Was haben Sie dann gemacht?«
    Erich Kiel grinste plötzlich und sagte: »Dann ging's mir blendend. Ich verdiente im Monat zehntausend Mark und mehr. Ich –«
    »Hören Sie auf!« unterbrach ihn Anny. »Sie waren also Schwarzhändler?«
    »Ja«, nickte er. »Wie alle in der schlechten Zeit.«
    »Nicht alle.«
    »Aber die meisten. Ich jedenfalls hatte alles: Kisten mit Speck und Schinken aus Bayern, eingetauscht gegen Töpfe und Kuhketten; zweitausend Paar Seidenstrümpfe aus der Ostzone. Ich bin siebenundzwanzigmal schwarz über die Zonengrenze. Es gibt keinen Grenzübergang zwischen der Ostzone und Hessen, den ich nicht kenne. Dann kam das Geschäft mit Fotoapparaten, das Bombengeschäft mit Pelzmänteln und Medikamenten. Glauben Sie, mir ist es vorher und nachher nicht mehr so gut gegangen wie damals. Es war herrlich.«
    »Das nennen Sie herrlich?«
    »Hätte mir damals jemand eine legale Arbeit gegeben? Hätte man mich, den Hauptmann mit dem Deutschen Kreuz in Gold, aus dem Dreck gezogen, wenn ich an die maßgeblichen Türen geklopft hätte? Glauben Sie, ein Mensch hätte mich aufgelesen, wenn ich hungernd im Straßengraben gelegen wäre? Nein. Ich habe damals auf alle Korrektheit und allen Anstand gepfiffen. Wenn ich die dicken Wänste der Geschäftsleute sah und ihre Gaunereien unter der Theke, dann hatte ich einfach keine Skrupel, es ihnen nachzumachen. Ich müßte ja blöd gewesen sein. Nee, liebe, beste Anny, kommen Sie mir da nicht mit Vorwürfen – oder Sie verurteilen das ganze deutsche Volk.«
    Anny von Borcken schwieg eine Weile. Sie sah die Hungergesichter der Kinder wieder vor ihren Augen auftauchen, die Skelette in den Krankenhäusern, die Schüler, die vor Hunger und Übermüdung in ihren Bänken einschliefen. Sie sah die riesigen Schlangen vor den Geschäften stehen, flankiert von Polizei mit weißen Holzknüppeln, sie sah aus dem Geschäft einen dicken Menschen mit blühenden roten Backen und fettem Atem treten und hörte ihn jovial sagen: ›Leute, heute gibt's noch nichts … aber morgen … vielleicht morgen.‹ Und aus der Hintertür gingen bei Nacht die Kisten in alle Richtungen.
    Anny von Borcken schwieg. Sie mußte schweigen, denn wer
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