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Die Mars-Chroniken

Die Mars-Chroniken

Titel: Die Mars-Chroniken
Autoren: Ray Bradbury
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dichter und wachsen; die Flanken der Berge nehmen eine metallische Färbung an. Die Blumen in ihren Käfigen stoßen leise warnende Seufzer aus. Man spürt es in den Haarspitzen kribbeln. Irgendwo im Haus singt fast unhörbar die Stimme der Uhr: »Zeit, Zeit, Zeit, Zeit…« nicht lauter, als wenn Wassertropfen auf Samt fallen.
    Und dann das Gewitter: die elektrischen Entladungen, der dunkle Niederschlag und die widerhallende Schwärze beherrschten alles, für ewig.
    Ja, so war es. Obwohl ein Gewitter heraufzog, war der Himmel noch klar. Blitzschlag lag in der Luft, doch es war noch keine Wolke zu sehen.
    Ylla bewegte sich durch das atemlos wartende Sommerhaus. Jeden Augenblick konnte ein Blitz vom Himmel herabzucken, der Donner rollen, eine Rauchwolke aufsteigen, dann Stille, endlich Schritte auf dem Weg, ein Klopfen an der Kristalltür, und sie würde losrennen, um aufzumachen…
    »Verrückte Ylla!« mahnte sie sich. »Warum denkst du dir so verrückte Dinge aus?«
    Und da geschah es.
    Die Hitze eines großen Feuers wogte durch die Luft. Ein wirbelndes, sausendes Geräusch, dann ein metallisches Aufblitzen am Himmel, Ylla schrie auf.
    Sie rannte zwischen den Säulen durch, riß die Tür auf und starrte zu den Hügeln hinüber. Doch dort war nichts zu sehen.
    Sie wollte schon den Hang hinabeilen, doch dann zögerte sie, hielt sich zurück. Sie mußte hierbleiben, durfte das Haus nicht verlassen. Der Doktor kam zu Besuch, und ihr Mann würde ärgerlich sein, wenn sie einfach davonlief.
    So wartete sie an der Tür, hob die Hand; ihr Atem ging schwer. Sie starrte angestrengt zum Grünen Tal hinüber, aber es war nichts zu erkennen.
    Ich bin verrückt, dachte sie und ging wieder ins Haus. Du und deine Fantasie, dachte sie. Es war nur ein Vogel, ein Blatt, ein Windhauch, ein Fisch im Kanal vielleicht. Setz dich und ruh dich aus.
    Sie setzte sich.
    Ein Schuß dröhnte.
    Laut und schrill, der Abschuß der Insektenwaffe.
    Sie zuckte bei dem Geräusch zusammen.
    Das Fauchen kam von weit her. Nur ein Schuß. Das ferne Geräusch von Bienen. Ein Schuß. Und dann ein zweiter, präzise und kalt, wieder weit entfernt.
    Sie fuhr erneut zusammen, und aus irgendeinem Grund sprang sie auf und schrie und schrie und wollte niemals wieder aufhören zu schreien. Außer sich vor Erregung stürzte sie durch das Haus und riß die Tür auf.
    Die Echos erstarben, erstarben…
    Und waren verklungen.
    Mit bleichem Gesicht wartete sie im Hof, fünf Minuten lang. Dann ging sie langsam und mit gesenktem Kopf durch die säulenumstandenen Räume, berührte hier und dort einen Gegenstand, ihre Lippen zitterten. Schließlich setzte sie sich in das dunkel werdende Weinzimmer und wartete. Mit einem Zipfel ihres Schals begann sie ein bernsteinfarbenes Glas auszuwischen.
    Und dann, noch weit entfernt, das Geräusch von knirschenden Schritten auf dünnen kleinen Steinen.
    Sie erhob sich und blieb in der Mitte des stillen Raums stehen. Ihre Finger ließen das Glas los, es zerschellte am Boden. Die Schritte verhielten vor der Tür.
    Sollte sie etwas sagen? Sollte sie rufen: »Komm herein! O komm herein!«?
    Sie näherte sich der Tür und stockte wieder.
    Die Schritte kamen die Rampe herauf. Eine Hand drehte den Türgriff. Sie lächelte.
    Die Tür öffnete sich. Ihr Lächeln erstarb.
    Es war ihr Mann. Seine Silbermaske glänzte matt.
    Er betrat den Raum und sah sie nur einen Augenblick lang an. Dann ließ er das Gebläse der Waffe aufschnappen, warf zwei tote Bienen aus, sie hörte sie auf den Boden aufklatschen, er zertrat sie und stellte die leere Waffe in eine Ecke, während sich Ylla bückte und erfolglos versuchte, die Scherben des Glases aufzulesen. »Was hast du getan?« fragte sie tonlos.
    »Nichts«, sagte er mit abgewandtem Gesicht. Er setzte die Maske ab.
    »Aber die Waffe – ich hab’ dich schießen gehört. Zweimal.«
    »Hab’ nur ein wenig gejagt. Ab und zu hat man eben Lust dazu. – Ist Dr. Nlle gekommen?«
    »Nein.«
    »Moment mal.« Er schnippste ärgerlich mit den Fingern. »Jetzt fällt’s mir ein. Er wollte ja erst morgen nachmittag kommen. Wie dumm von mir.«
    Sie setzten sich an den Tisch. Sie starrte schweigend ihr Essen an und hatte die Hände in den Schoß gelegt. »Was ist los?« fragte er, ohne den Blick von den Fleischstückchen zu heben, die er in die brodelnde Lava tauchte.
    »Ich weiß nicht. Ich habe keinen Hunger«, sagte sie.
    »Warum nicht?«
    »Ich weiß nicht. Ich bin nicht hungrig.«
    Ein Windhauch erhob sich; die
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