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Die Mars-Chroniken

Die Mars-Chroniken

Titel: Die Mars-Chroniken
Autoren: Ray Bradbury
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Traum.«
    »Natürlich.« Er küßte sie flüchtig auf die Wange. »Nur ein Traum.«
     
    Die Sonne stand hoch am Himmel, und die Hügel flimmerten im hellen Licht.
    »Fährst du nicht in die Stadt?« fragte Ylla.
    »Stadt?« Er hob träge die Augenbrauen.
    »An diesem Tag fährst du doch sonst immer.« Sie rückte einen Blumenkäfig auf seinem Podest zurecht. Die Blumen bewegten sich und öffneten ihre hungrigen gelben Mäuler.
    Er schloß sein Buch. »Nein. Es ist zu heiß und außerdem schon zu spät. Es ist schon Mittag.«
    »Ja«, sagte sie, beendete ihre Arbeit und ging zur Tür. »Ich bin bald zurück.«
    »Moment mal! Wo willst du hin?«
    Leichtfüßig huschte sie über die Schwelle und drehte sich um. »Zu Pao. Sie hat mich eingeladen.«
    »Heute?«
    »Ich habe sie lange nicht besucht.«
    »Pao wohnt drüben im Grünen Tal, nicht wahr?«
    »Ja, nur ein kleiner Spaziergang. Ich dachte, ich…« Sie hatte sehr schnell gesprochen und kam nun ins Stocken.
    »Es tut mir leid«, sagte er und lief ihr nach, um sie zurückzuhalten; dabei machte er ein Gesicht, als bedauerte er zutiefst seine Vergeßlichkeit. »Ich habe völlig vergessen, dir zu sagen, daß ich Dr. Nlle für heute nachmittag eingeladen habe.«
    »Dr. Nlle?«
    Er faßte sie am Ellbogen und zog sie ins Haus zurück.
    »Ja.«
    »Aber Pao…«
    »Pao kann warten, Ylla. Wir müssen uns um Dr. Nlle kümmern.«
    »Nur ein paar Minuten…«
    »Nein, Ylla!«
    »Nein?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein. Außerdem ist der Weg zu Pao hinüber durchs Grüne Tal und dann am großen Kanal entlang fürchterlich weit und anstrengend. Außerdem würde sich Dr. Nlle sicher sehr freuen, wenn du hier wärst.«
    Sie antwortete nicht, wollte sich losreißen und davonlaufen, wollte schreien, aber sie saß nur still in ihrem Stuhl, bewegte langsam die Finger und betrachtete sie ausdruckslos; sie war gefangen.
    »Ylla?« flüsterte er. »Du bleibst doch hier, nicht wahr?«
    »Ja«, sagte sie leise nach langem Schweigen. »Ich bleibe hier.«
    »Den ganzen Nachmittag?«
    »Den ganzen Nachmittag.«
     
    Der Tag war schon weit fortgeschritten, und Dr. Nlle hatte sich noch immer nicht sehen lassen. Herrn K schien das nicht sonderlich zu überraschen. Es wurde immer später. Plötzlich stand er auf, trat an einen Schrank und holte eine seiner Waffen heraus, eine lange gelbliche Röhre, die in einem Beutel mit einem Gebläse und einem Abzug endete. Er trug eine Maske vor dem Gesicht, eine ausdruckslose gehämmerte Maske aus Silber – die Maske, die er stets trug, wenn er seine Gefühle verbergen wollte, die Maske, die sich den hageren Linien seines Kinns, seiner Wangen und seiner Stirn exakt anpaßte. Die Maske glitzerte in der Sonne; in der Hand hielt er eine Waffe und betrachtete sie prüfend. In dem Beutel summten Insekten. Schwärme schrecklicher goldener Bienen konnten durch das Gebläse abgeschossen werden: ein schrilles Geräusch, und sie stürzten sich wutentbrannt ins Ziel, stachen zu und verspritzten ihr Gift, um dann wie Samenkörner tot in den Sand zu fallen.
    »Wohin gehst du?« fragte sie.
    Er lauschte auf das bösartige Summen in dem Beutel und sagte: »Ich habe keine Lust, länger auf Nlle zu warten. Ich gehe ein wenig auf die Jagd. Bin bald zurück. Du bleibst hier, ja?« Die Silbermaske schimmerte.
    »Ja.«
    »Und sag Dr. Nlle, daß ich bald zurückkomme. Ich gehe nur ein wenig auf die Jagd.«
    Die dreieckige Tür schloß sich hinter ihm. Seine Schritte verhallten. Sie beobachtete, wie er durch den Sonnenschein stapfte, und folgte ihm mit den Blicken, bis er nicht mehr zu sehen war. Dann machte sie sich an ihre Hausarbeit, streute magnetischen Staub aus und pflückte die Früchte von den Kristallwänden. Sie arbeitete zielstrebig und konzentriert, doch gelegentlich überkam sie eine gewisse Trägheit, und sie ertappte sich dabei, wie sie das seltsame Lied sang und an den Kristallsäulen empor zum Himmel starrte.
    Sie hielt den Atem an, stand ganz still und wartete.
    Es kam näher.
    Jeden Augenblick konnte es geschehen.
    Es war wie an Tagen, da ein Gewitter aufzog. Zunächst die erwartungsvolle Stille, der langsam wachsende atmosphärische Druck des nahenden Unwetters, das in hohen Luftschichten Schatten und Dunstfetzen entstehen läßt. Die Veränderung erzeugt einen Druck in den Ohren, und man wartet beklommen auf die Entladung, wobei die Zeit stillzustehen scheint. Man beginnt vor Erregung zu zittern. Der Himmel wird fleckig und verfärbt sich; die Wolken werden
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