Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mars-Chroniken

Die Mars-Chroniken

Titel: Die Mars-Chroniken
Autoren: Ray Bradbury
Vom Netzwerk:
wie sie die Fleischstücke in das zischende Feuerbecken tauchte. Die Sonne war untergegangen. Langsam, ganz langsam kroch die Nacht heran und erfüllte den Raum, verschluckte die Pfeiler und die beiden Gestalten, wie dunkler Wein, der sich über sie ergoß. Nur der Schimmer der Silberlava erhellte ihre Gesichter.
    Wieder begann sie das seltsame Lied zu summen.
    Er sprang verärgert auf und verließ den Raum.
     
    Später beendete er schweigend sein Abendessen. Als er dann aufgestanden war, reckte er sich, sah sie an und schlug gähnend vor. »Fliegen wir doch mit den Flammenvögeln in die Stadt und sehen uns ein Stück an!«
    »Das ist doch nicht dein Ernst«, sagte sie.
    »Was ist denn so seltsam an meinem Vorschlag?«
    »Wir sind seit sechs Monaten nicht mehr aus dem Haus gewesen!«
    »Deshalb halte ich es für einen guten Gedanken.«
    »Auf einmal bist du so besorgt?« fragte sie.
    »Also was ist nun?« erwiderte er mürrisch. »Möchtest du oder möchtest du nicht?«
    Sie blickte hinaus in die Wüste, die vom fahlen Licht der Zwillingsmonde erhellt wurde. Kaltes Wasser umspielte ihre Zehen. Sie zitterte und spürte einen Anflug von Angst. Gern wäre sie einfach sitzengeblieben, schweigend, reglos, bis das Ereignis eintrat, auf das sie den ganzen Tag gewartet hatte; ein Ereignis, das eigentlich gar nicht möglich war, das aber trotzdem nahte. Ein Fetzen des Liedes ging ihr durch den Sinn.
    »Ich…«
    »Wird dir gut tun«, drängte er. »Komm schon!«
    »Ich bin müde«, sagte sie. »Ein andermal.«
    »Hier ist dein Schal.« Er reichte ihr eine Phiole. »Wir sind seit Wochen nicht mehr aus dem Hause gewesen.«
    »Nur du – zweimal in der Woche in Xi-City.« Sie sah ihn nicht an.
    »Geschäfte«, erklärte er.
    »Ach?« sagte sie leise.
    Aus der Phiole strömte eine Flüssigkeit, verwandelte sich in einen blauen Nebel und legte sich sanft um ihren Hals.
     
    Die Flammenvögel warteten wie ein Häufchen glühender Kohlen auf dem glatten Sand. Der weiße Baldachin, der durch tausend grüne Bänder mit den Vögeln verbunden war, blähte sich im Nachtwind und flappte leise.
    Ylla lehnte sich zurück, und auf ein Kommando ihres Mannes sprangen die Vögel funkensprühend in den dunklen Himmel. Die Bänder strafften sich, das Fahrzeug wurde angehoben. Pfeifend glitt es über dem Sand dahin; die blauen Hügel trieben vorüber, ihr Haus blieb zurück, die wassersprühenden Säulen, die Blumen in ihren Käfigen, die singenden Bücher, die flüsternden Bäche. Sie sah ihren Mann nicht an. Sie hörte seine Kommandos an die Vögel, die wie zehntausend heiße Funken höher stiegen, wie gelbrote Feuerwerkskörper am Himmel hin und her zuckten, brennend durch den Wind fegten und den Baldachin wie ein Blütenblatt hinter sich her zogen. Sie blickte nicht zu den toten Städten hinab, die unter ihnen vorüberglitten, nicht zu den alten Kanälen, gefüllt mit Leere und Träumen. Über ausgetrocknete Flüsse und ausgetrocknete Seen flogen sie dahin wie der Schatten des Mondes, wie eine brennende Fackel.
    Sie hatte nur Augen für den Himmel.
    Der Mann sagte etwas.
    Sie betrachtete den Himmel.
    »Hast du gehört, was ich gesagt habe?«
    »Nein.«
    »Warum hörst du mir nicht zu?« fragte er gereizt.
    »Ich habe nachgedacht.«
    »Heute scheint dich der Himmel mehr als alles andere zu interessieren!« sagte er. »Ich habe nicht gewußt, daß du eine Naturfreundin bist.«
    »Er ist sehr schön.«
    »Ich überlege gerade«, sagte ihr Mann nachdenklich, »ob ich heute abend Hulle anrufen sollte. Ich möchte arrangieren, daß wir ein paar Tage in die Blauen Berge fahren – vielleicht für eine Woche…«
    »Die Blauen Berge?« Sie hielt sich mit einer Hand am Rand des Baldachins fest und wandte sich hastig zu ihm um.
    »Es ist ja nur ein Vorschlag.«
    »Wann willst du fahren?« fragte sie mit bebenden Lippen.
    »Ich habe gedacht, daß wir vielleicht morgen früh gleich… Du weißt, man soll den Tag früh beginnen…«
    »Aber wir fahren doch sonst nie zu Anfang des Jahres!«
    »Nun ja, dieses eine Mal, ich dachte mir eben…« Er lächelte. »Es wird uns sicher gut tun, einmal Pause zu machen, etwas anderes zu sehen; Frieden und Stille – du weißt schon. Du hast doch nicht etwa andere Pläne? Wir fahren doch, ja?«
    Sie atmete tief, zögerte einen Augenblick und erwiderte dann: »Nein!«
    »Was?« Sein Aufschrei erschreckte die Vögel. Das Fahrzeug begann zu schaukeln.
    »Nein«, sagte sie entschlossen. »Ein für allemal. Ich komme nicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher