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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin
Autoren: Martina Kempff
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auch er muß noch viel lernen. Was habe ich selbst nicht alles gelernt in diesen letzten Jahren. Wie oft habe ich geglaubt, daß alles zu Ende sei, aber alles geht immer irgendwie weiter. Statt Schinken und Branntwein werde ich Buchstaben verkaufen.
    Da Jakob sich eine Erkältung zugezogen hatte, verschoben Juliane und Johannes die Abreise bis ins neue Jahr hinein. Sie hatten es eilig, nach Hause zu kommen und beschlossen deshalb die gleiche Route zu nehmen, auf der sie mit der Großen Armee durch Rußland, Polen und Ostpreußen gezogen waren. Juliane bestand darauf, den Schlitten voll mit Lebensmitteln zu packen, denn die kriegsgeplagten Anwohner der Strecke würden ihnen unterwegs sicher jegliche Hilfe verweigern.
    »Wir müssen den Leuten ja nicht auf die Nase binden, daß wir auf Napoleons Seite waren«, bemerkte Gerter, worauf sie erwiderte: »Du vielleicht, ich nie.« Aber es stellte sich heraus, daß sie nirgends Erklärungen abgeben mußten.
    In den größtenteils wieder hergerichteten Dörfern wurden die Reisenden herzlich empfangen, vor allem Jakob wurde ausgiebig bewundert und nirgendwo stießen sie auf Ablehnung. Als sie in einem Gasthof in Smolensk tafelten, staunte Juliane über die reiche Auswahl an Nahrungsmitteln. Sie bestellte eine Portion Schweinefleisch und Johannes brach in schallendes Gelächter aus, als ihr ein halbes Spanferkel vorgesetzt wurde. Der Wirt meinte, er könne ihnen den Rest einpacken, aber Johannes schlug vor, es mit anderen Gästen zu teilen. Daraufhin setzten sich vier fröhliche Russen zu ihnen an den Tisch, wo dann bei Tee mit Rum und zu den Klängen einer Drehorgel Freundschaft geschlossen wurde.
    Sie übernachteten in einem Schlößchen, das in den Kriegstagen als Spital gedient hatte und als Juliane aufwachte, war ihr Kissen tränennaß. Sie hatte von Matthäus geträumt, der sie vor den Toren von Smolensk aus der Schußlinie gezogen hatte und danach nie wieder sein Bein richtig hatte bewegen können. Weiter ging es über Witebsk nach Wilna, denn nichts hätte Juliane bewegen können, die Route über die Beresina zu nehmen.
    Auch wenn sie unterwegs noch Ruinen von Häusern sahen, so gab es doch nirgends mehr Spuren von Schlachtfeldern. In Maliaty blieb Juliane lange still vor dem riesigen, fast im Schnee versunkenen Gutshof stehen, in dem das württembergische Lazarett untergebracht gewesen war. Nichts wies mehr auf das Elend hin, das hier geherrscht hatte. Über den schneebedeckten Dächern kräuselte sich der Rauch und lautes Lachen drang nach draußen.
    Der zugefrorene Niemen erinnerte nicht mehr an den Fluß, den Napoleon so triumphierend überquert hatte und manchmal kam es Juliane so vor, als wäre der ganze Feldzug nur ein böser Traum gewesen. Dann sah sie Jakob an, der Matthäus immer ähnlicher wurde und bereits verständliche Laute von sich gab und dann wußte sie, daß alles wirklich passiert war.
    »Hör mal!« rief Gerter in einem Gasthof in Thorn aufgeregt. »Er hat gerade Pamampa gesagt und vorhin habe ich ganz deutlich Lolali gehört! Ganz der Matthäus, ganz der Vater, lauter neue Kosenamen!«
    »Losena?« krähte Jakob fröhlich.
    Als sie die deutsche Grenze erreichten, ließ der Schneefall nach und in Leipzig tauschten sie ihren Schlitten gegen eine Kutsche ein. Sie waren viel länger unterwegs gewesen als geplant, hatten in manchen Dörfern und Städten mehrere Tage verbracht und so trafen sie erst im April in Stuttgart ein.
    Hier erfuhren sie, wie die Bevölkerung monatelang im Irrglauben gelebt hatte, Napoleon siege ununterbrochen. Zu einem Zeitpunkt, als sich Johannes schon längst in Gefangenschaft befunden hatte, standen in den Stuttgarter Zeitungen nur erfreuliche Nachrichten, zum Beispiel konnte man von der rührenden Fürsorge für die ›ihre Winterquartiere aufsuchenden, mit wärmster Kleidung versehenen Truppen‹ lesen. Als die Truppen schon in wildester Flucht begriffen waren, hieß es in Stuttgart, daß ›sämtliche alliierte Armeen nach dem glorreichen Sieg vom 29. November nunmehr die Winterquartiere bezogen haben‹.
    »Und du glaubst an das gedruckte Wort?« fragte Johannes Juliane, die sich sofort nach dem Eintreffen in Stuttgart um geeignete Räume für ihren Buchladen bemüht und diese in der Nachbarschaft ihrer neuen Wohnung nahe der Planie gefunden hatte.
    Am 1. Juni 1814 wurden die zurückgekehrten Soldaten bei der Musterung von König Friedrich persönlich begrüßt. Noch nie hatte Juliane Johannes so wütend gesehen, wie an
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