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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin
Autoren: Martina Kempff
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ausgeschlossen. Sie hatte Gerter zwar einmal aufgefordert, einen Offizier mit sechs Zehen ausfindig zu machen, aber nie eine Andeutung fallen lassen, daß es um ihren Vater ging. Wer er war, hatte sie selbst erst in Moskau erfahren. Damals hatte sie beschlossen, ihr Geheimnis für sich zu behalten, und daran wollte sie jetzt nichts ändern.
    »Erzähl mir von ihm«, bat Gerter.
    »Er ist tot«, erwiderte sie kurz angebunden und verließ das Kutschhaus. Gerter folgte ihr, legte einen Arm um ihre Schultern und flüsterte: »Ja, Juliane, er ist tot. Eugen von Röder ist mit deinem Namen auf den Lippen gestorben.«
    Juliane blieb so abrupt stehen, daß er beinah gestürzt wäre. Sie starrte ihn fassungslos an. Wovon sprach er? Nichts ergab einen Sinn. Sie machte den Mund auf, schloß ihn wieder. Ihr fehlten die Worte. Noch nie im Leben war sie sich so verloren vorgekommen.
    »Tot …«, stammelte sie schließlich. Sie begann leise zu weinen. Gerter zog sie sanft an sich.
    »Er war stolz auf dich«, begann er. Sie riß sich los.
    »Seine Tochter hat gemordet, gestohlen, gelogen und betrogen, die Ehe gebrochen und ihren Mann getötet!« schrie sie. »Auf diese Tochter war er stolz?« Tränen stürzten ihr aus den Augen und als Johannes die Arme um sie legen wollte, stieß sie ihn zurück.
    »Rühr mich nicht an!« fauchte sie und stürzte ins Haus. »Geben Sie mir mein Kind!« Jakob begann wieder zu brüllen, als sie ihm Felix aus den Armen riß. Nur noch weg, dachte sie, weit weg, von all den Lügen und all den Erinnerungen an ihre Sünden. Johannes stellte sich in die Tür.
    »Laß mich durch!« schrie sie ihn an.
    Felix hob die Augenbrauen. Er ging auf die Assenheimerin zu und sagte sachlich: »Es ist besser, wenn Sie mir wieder den Kleinen geben. Sonst lassen Sie ihn womöglich noch fallen.«
    Juliane drückte Jakob fest an sich und starrte Felix feindselig an.
    »Halten Sie sich da raus!« Und zu Gerter: »Geh weg! Laß mich in Ruhe!«
    Er rührte sich nicht.
    Sie holte tief Luft, sah ihn flehentlich an und zwang sich ruhig zu sprechen: »Ich muß meinen Weg allein machen. Das schulde ich meinem Kind. Wenn ich mit dir gehe, wird Gott Jakob für meine Sünden bestrafen. Ich kann dich nicht heiraten.«
    Das also war es! Gerter, der sich Julianes so sicher gefühlt hatte, verstand plötzlich, daß sie Jakobs wegen ihre Liebe opfern wollte.
    »In der Bibel ist auch von den Sünden der Väter die Rede«, stellte Felix fest. »Ihr Vater hat sich vielleicht gegen Sie versündigt, weil er sich erst kurz vor seinem Tod zu Ihnen bekannt hat …«
    Julianes Augen weiteten sich. Felix wußte auch Bescheid? Mühelos zog er den wieder schreienden Jakob aus ihren Armen. Das Kind war augenblicklich still. Leise fuhr Felix fort: »Wissen Sie, daß er Ihnen sein gesamtes Vermögen vermacht hat, Assenheimerin? Sie sind unabhängig und können Ihrem Sohn ein gutes Leben bieten.«
    Juliane trat ein paar Schritte zurück und hielt sich an einer Stuhllehne fest. Langsam blickte sie von einem zum anderen. Während sie nur eines denken konnte: Wo bleibt meine Strafe? Als könnte er ihre Gedanken lesen, fügte Johannes schnell hinzu: »Du hast genug gelitten.«
    Er verließ seinen Platz, nahm Jakob aus Felix' Armen und ging mit ihm zu Juliane.
    »Dein Sohn braucht einen Vater, Juliane. Und ich, ich brauche dich.« Eindringlich sah er sie an und zitierte: »Die Liebe zum Leben ist eure Rettung … Folgt nur eurem Herzen – dann vergibt euch Gott!«
    Langsam sank Juliane auf den Stuhl. Ihr Blick ging an Gerter vorbei und sie sah sich wieder im Eiswind vor der Steinhütte an der Beresina stehen und diese Worte verkünden. Matthäus, dachte sie, hast du mir verziehen? Johannes setzte ihr Jakob auf den Schoß. Automatisch schloß sie die Arme um ihren Sohn. Wie klein er war, und wie zart! Voller Vertrauen blickte er sie mit den Augen seines Vaters an. Würde sie ihn allein heil aus Rußland herausbringen können, nach Stuttgart in das Häuschen, wo ihr Matthäus den letzten Heiratsantrag gemacht hatte? Matthäus, der damals genau wußte, daß sie ihn nicht aus Liebe heiratete, sondern weil sie nach ihrem Erlebnis mit den Soldaten in Stuttgart Angst gehabt hatte, allein mitzuziehen. Jetzt hatte sie wieder Angst. Nicht um sich, aber um Jakob.
    »Ich sage immer aus Angst ja«, murmelte sie plötzlich und wußte selber, daß es in diesem Fall nicht stimmte.
    Gerter beugte sich über sie, nahm ihr Gesicht in beide Hände und fragte: »Nur aus
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