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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin
Autoren: Martina Kempff
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sie doch auch gesehen – sie kann sich nicht einfach in Luft aufgelöst haben!«
    »Wer«, fragte Katharina, die mit zwei Cognacgläsern ins Zimmer gekommen war, »wer ist diese Frau?« Johannes schrak sichtlich zusammen.
    »Das habe ich dir bereits gesagt, die Marketenderin unseres Regiments und die Frau von Korporal Schreiber.«
    »Nein«, sagte Katharina leise, stellte die Gläser ab und setzte sich auf die Armlehne seines Stuhls. »Danach habe ich dich nicht gefragt.«
    Sie sah zu Felix, aber der mied ihren Blick. Es entstand ein unbehagliches Schweigen. Katharina wagte es nicht, Johannes zu berühren. Er ist mir fremd geworden, wird mir immer fremder, ging ihr durch den Kopf, wann ist mir seine Liebe entglitten? Als die Zigeunerin das Fenster eingeschlagen hat. Sie stand auf.
    »Johannes«, sagte sie, »ich gebe dich frei.«
    Sie setzte sich an den Sekretär ihres verstorbenen Mannes und schrieb schweren Herzens einen Brief.
    Nur das Kratzen der Feder war im Raum zu hören. Während sie schrieb, wartete Katharina auf eine Reaktion von Gerter. Sie nahm sich Zeit, ihre Sätze gut zu formulieren. Johannes rührte sich nicht. In seinem Kopf klang das Echo der letzten Worte nach. Ich gebe dich frei – lag das wirklich in ihrer Macht? Hing das mit den geheimnisvollen Besuchen im Kreml zusammen? Wenn sie ihn freigegeben hätte, bevor Juliane aufgetaucht war … Johannes schloß die Augen. Dann wäre er jetzt wohl mit ihr verheiratet. Sein Schweigen schnitt Katharina durchs Herz. Wie groß muß diese Liebe sein, daß dieser wohlerzogene Mann nicht einmal den Schein wahrt, dachte sie betroffen. Schwungvoll unterschrieb sie den Brief und versiegelte ihn.
    Die Geschichte nahm eine entschieden andere Wendung, als Felix gewünscht hatte. Er war peinlich berührt, weil ihm die Rolle als Zeuge einer Abschiedsvorstellung nicht gefiel und weil er fand, daß es dem Oberleutnant an Stil gebrach. Seine Bewunderung für Katharina wuchs. Ich hätte mich erniedrigt, um ihn bei mir zu behalten, dachte er. Aber wenn diese Frau ein so großes Herz hat, dann darf ich meins nicht kleiner machen. Trotzdem werde ich meinen Schwur nicht brechen.
    »In meinem Kutschhaus steht noch ein Schlitten«, sagte er unvermittelt zu Johannes, »den wirst du brauchen, wenn du in den nächsten Tagen in die Heimat zurückkehrst.« Er schrieb ihm die Adresse auf. »Warte da morgen mittag auf mich.« Er zögerte einen Moment: »Übrigens habe ich erfahren, daß Matthäus Schreiber an der Beresina umgekommen ist. Die Assenheimerin muß sich also allein gerettet haben.«
    Katharina klingelte und als Pjotr eintrat, beauftragte sie ihn, das Schreiben unverzüglich zum Kreml zu bringen und auf Antwort zu warten.
    Juliane schloß das letzte Heft. Viel hatte sie geschrieben über Macht und Verantwortung, aber sie hatte keinen Satz gefunden, der die Mächtigen davon überzeugen könnte, ihre Macht zum Wohle aller zu nutzen, keinen Satz, der die Massen der Untertanen vom Joch einer ungerechten Herrschaft befreien könnte.
    »Ich bin zu dumm«, sagte Juliane zu Jakob, der in seinem Bettchen lag und leise, beinahe singende Töne von sich gab, »du wirst besser denken lernen als deine Mutter, du wirst viel lesen und du darfst keine Angst vor großen Menschen haben.«
    Sie setzte sich auf. Angst! Angst war die Macht, die alles beherrschte, die sie selber in den vergangenen Jahren beherrscht hatte. Angst vor dem Kanonendonner, vor dem Tod, vor Gott, vor Matka, vor den Russen, die sie als Ausländerin hätten erkennen können, vor der Liebe. Angst hatte sie beherrscht, Angst vor dem, was sie getan hatte und Angst vor dem, was sie unterlassen hatte. Die Untertanen ziehen aus Angst vor dem König in einen Krieg, den der König aus Angst vor dem Verlust seiner Macht unterstützt und der nur deshalb geführt wird, weil der Kaiser Angst vor einem andern Land hat. Ihr fiel Matkas Vergleich mit der Wolle und dem Strickenkönnen ein und sie dachte: Das ist es, Liebe und Wissen können erst dann zusammenwirken, wenn die Angst überwunden ist. Aber es wird nichts ändern, wenn niemand die Stricknadeln ergreift und an der Überwindung der eigenen Angst arbeitet. Ich muß bei mir anfangen, sagte sie, jeder muß bei sich anfangen, denn ohne Erkenntnis stößt ein kluges Wort nur auf taube Ohren. Ich werde mein eigenes Manifest verfassen, es an Jakob weitergeben, der vielleicht die Möglichkeit schaffen wird, allen Menschen etwas zum Nachdenken zu geben. Es war noch eine Seite frei
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