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Die Maori-Prinzessin

Die Maori-Prinzessin

Titel: Die Maori-Prinzessin
Autoren: Laura Walden
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zugewunken hatten, bis diese eins mit der gesichtslosen Menge geworden waren, die am Kai Abschied von ihren Verwandten nahm.
    In ihrer ersten Nacht auf dem riesigen Auswandererdampfer hatte Eva sich in den Schlaf geweint, um dann keine einzige Träne mehr zu vergießen – bis heute. Der Zug durchquerte soeben eine Landschaft aus Bergen und grünen Wiesen. Die Berge waren höher als zu Hause und die Wiesen grüner. Eva drückte sich die Nase an der Scheibe platt. Selbst die Sonnenstrahlen, die das Land in ein warmes Licht tauchten, kamen ihr kräftiger vor als in Badenheim. Sie wollte auf keinen Fall etwas verpassen. Doch schon kurz darauf ergriff die Müdigkeit mit aller Macht von ihr Besitz. Die Augen fielen ihr zu und ihr Kopf sackte nach vorn auf die Brust.



N APIER , D EZEMBER 1930
    Eva erwachte davon, dass jemand sie kräftig schüttelte. Es war der freundliche Schaffner.
    »Schnell, steigen Sie aus. Sonst müssen Sie bis nach Hastings mitfahren!«, rief er aufgeregt, während er ihren Koffer aus dem Netz zerrte und zum Ausgang eilte. Eva sprang auf, griff sich ihren Mantel und die Handtasche und folgte ihm. Kaum war sie auf dem Bahnsteig, setzte sich der Zug auch schon in Bewegung.
    »Viel Glück in Ihrer neuen Heimat!«, rief der Schaffner und winkte ihr zu.
    Eva hatte nur den einen Koffer, der allerdings so schwer war, dass sie ihn kaum tragen konnte. Als sie auf dem Vorplatz ankam, lief ihr der Schweiß in Strömen aus allen Poren. Das hatte sie bereits bei der Ankunft in Auckland bemerkt. In diesem abgelegenen Teil der Erde herrschten im Dezember sommerliche Temperaturen. Sie hielt Ausschau nach einem Taxi, aber in der Mittagshitze entdeckte sie weit und breit keinen Wagen.
    »Da können Sie lange warten«, bemerkte eine vorübereilende Frau. »Am Wochenende fahren kaum Wagen. Die Männer sind alle beim Fischen oder Wandern.«
    »Und wie komme ich dann zur Cameron Road?«
    »Ganz einfach. Sie gehen die Straße nach links und dann immer geradeaus. Da fragen Sie noch einmal. Es geht ein bisschen bergauf, aber Sie sind ja noch jung! Keine zwei Kilometer. Höchstens fünfzehn Minuten.«
    Eva holte tief Luft und überlegte. Vielleicht sollte sie bei der Tante anrufen und sie bitten, dass man sie abholen möge. Doch sie hatte noch immer den unwirschen Ton im Ohr, der ihr aus dem Telefon entgegengeklungen war. Diese Stimme machte ihr keine allzu große Hoffnung auf einen freundlichen Empfang. Was würde die Tante wohl sagen, wenn sie ohne ihre Mutter in der Cameron Road ankam? Entschieden nahm Eva den Koffer und ging nach links, wie die Frau es ihr geraten hatte. Die Strecke schien sich ewig hinzuziehen. Ein kleiner Trost war der atemberaubende Anblick des Meeres, das rechter Hand auftauchte. Aber die Freude darüber konnte Eva schließlich auch nicht mehr von ihren schmerzenden Armen ablenken. Alle paar Minuten blieb sie stehen, um die Hand zu wechseln. Ihre Finger waren jedes Mal schneeweiß, weil das Gewicht des Koffers die Blutzufuhr abquetschte.
    Nach einer Weile kam ihr eine alte, dunkelhäutige Frau mit krausem schwarzem Haar, das von grauen Strähnen durchzogen war, entgegen. Ob sie die ansprechen sollte? Sie war unschlüssig, starrte die Fremde aber so durchdringend an, dass diese stehenblieb und unverblümt fragte, warum sie sie so ansehe.
    Eva fühlte sich ertappt und kam ins Stottern, als sie der Alten zu erklären versuchte, dass sie aus Deutschland käme und zu ihrer Tante in die Cameron Road wolle.
    Ein Lächeln huschte über das Gesicht der Frau.
    »Sie haben noch nie zuvor eine Maori gesehen, oder?«
    Eva schüttelte den Kopf. »Ich habe in einem kleinen Ort gelebt, bis mein Vater unsere Auswanderung beschlossen hat.« Eva hatte Mühe, die richtigen englischen Wörter zu finden. In der Schule hatte sie kein Englisch gelernt und ihr Eifer auf dem Schiff zahlte sich zwar darin aus, dass sie beinahe alles verstand, aber zum flüssigen Sprechen reichte es noch nicht. Eva war das ein wenig unangenehm. Ebenso wie die Tatsache, dass sie gar nichts über dieses Land wusste. Es wäre ihr ein Gräuel, wenn man sie für ungebildet hielte. Denn ihre mangelnde Ausbildung war ihre Schwachstelle. Wie gern wäre sie nach Mainz oder Worms auf die höhere Schule gegangen wie Inge, ihre Freundin, die Tochter des Bürgermeisters. Doch es war kein Geld da, und sie wurde im Haushalt gebraucht. Einer musste schließlich kochen und sauber machen, wenn ihre Mutter wieder einmal wochenlang nur trübsinnig vor sich
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