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Die Maori-Prinzessin

Die Maori-Prinzessin

Titel: Die Maori-Prinzessin
Autoren: Laura Walden
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um nach Ahorangis Einweihung einen Haka, den rituellen Tanz der Maori, vorzuführen, während die Tätowierer ihre Werkzeuge vor der Prinzessin ausbreiteten. Es waren Schaber aus den Knochen des Albatros. Kanahau erfüllte der Gedanke, dass die noch blütenzarte Gesichtshaut seine Tochter alsbald rau und voller Narben sein würde, mit Stolz. Er mochte die Pfirsichhaut der Pakeha-Frauen nicht, und er verstand nicht, wie man ein solches glattes, helles Gesicht mögen konnte. Wenn seine Tochter erst als Maoriprinzessin gezeichnet wäre, würde sie solche törichten Vergleiche in Zukunft sicherlich nicht mehr anstellen. Das jedenfalls redete sich Kanahau in diesem Augenblick ein.
    Soeben stimmten die Frauen ein Lied an. Ihre Stimmen erfüllten den erhabenen Ort und schallten bis weit über das Meer. Kanahau wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel. Wie sehr er seine Frau vermisste, die vor knapp einem Jahr gestorben war. Sie wäre voller Stolz, wenn sie hätte miterleben dürfen, wie ihre ungestüme Tochter sich nun doch noch zähmen ließ und die Rituale ihrer Ahnen zu respektieren lernte. Vielleicht würde Ahorangi sich unter dem Schutz ihrer Mutter auch immer noch weigern, sich tätowieren zu lassen und zu heiraten. Wenn es nach Kanahau gegangen wäre, hätte man diesen Tag nämlich bereits vor zwei Jahren gefeiert, aber seine Frau Ihapere hatte sich stets vor ihre Tochter gestellt und ihren Mann vertröstet. Nicht bevor sie sechzehn wird, hatte Ihapere gefordert. Inzwischen war Ahorangi siebzehn Jahre alt und in den Augen ihres Vaters so reif wie eine Süßkartoffel, die zu lange im Vorratshaus gelagert hatte.
    Kanahau wollte noch einen letzten Blick auf ihr kindlich reines Gesicht werfen. Sie sah ihrer Mutter verblüffend ähnlich. Wenn er daran dachte, wie vehement sein Vater sich seinerzeit gegen die Hochzeit seines Sohnes mit der »Schmalgesichtigen« – so hatte er seine zukünftige Schwiegertochter zeitlebens genannt –, ausgesprochen hatte. Kanahau aber hatten genau diese – für eine Maorifrau außergewöhnlich zarten – Gesichtszüge magisch angezogen. Doch Ihapere hatte ein Moko am Kinn besessen, das sie voller Stolz getragen hatte. Und genau dort würden die Tohunga-ta-moko seiner Tochter das Moko in die Haut ritzen.
    Plötzlich brach der Gesang der Frauen ab; Schreie wurden laut.
    Kanahau wandte erschrocken den Blick von seiner Tochter ab. Eine Gruppe von Reitern bahnte sich den Weg durch die kreischenden Frauen. Woher diese Männer kamen, wussten nur die Götter. Und noch hatte der Häuptling die Tragweite dieser Störung nicht gänzlich begriffen. Erst als einer der Männer seine Tochter Harakeke packte und auf sein Pferd zog, ahnte er, dass dies ein feiger Überfall war. Er hatte davon gehört, dass liebeshungrige Siedler gelegentlich Maorifrauen raubten, aber wie konnten sie es wagen, es in seinem Dorf und an diesem Tag zu wagen?
    Kanahau erhob sich und gab den jungen Männern, die zum Haka aufgestellt waren und auf ihren Tanz warteten, ein Zeichen, sich gegen die Eindringlinge zu wehren. Mit martialischem Gebrüll stürzten sich die Krieger auf die Pakeha und schlugen sie in die Flucht. Unter wilden Flüchen preschten sie im Galopp davon.
    Auch Kanahau hatte sich in das Kampfgetümmel gestürzt und war gerade dabei, den letzten der Reiter zu vertreiben, als ein spitzer Schrei ihn herumfahren ließ.
    Dem Häuptling stockte der Atem. Der Platz, auf dem soeben noch seine geliebte Tochter Ahorangi gesessen hatte, war von einer Staubwolke eingehüllt, die ein davongaloppierendes Pferd aufgewirbelt hatte. Als die Wolke sich verzog und der Häuptling wieder freie Sicht hatte, stieß er beim Anblick des leeren Palmenthrons einen markerschütternden Schrei aus.



Z UG NACH N APIER , D EZEMBER 1930
    Anfangs hatte Eva noch gebannt aus dem Fenster des Zuges gestarrt. Eine derart wilde Landschaft hatte sie noch nie zuvor gesehen. Bis zu jenem Tag, an dem sie alles hinter sich gelassen hatte, war sie selten aus Badenheim herausgekommen, dieser kleinen pfälzischen Welt mit ihren sanften Hügeln und Weinbergen so weit das Auge reichte. Sie hatte es sich immer gewünscht, eines Tages fortzugehen, aber wie schnell und auf welche Weise ihre geheimsten Träume wahr werden sollten, hätte sie niemals für möglich gehalten.
    Das Ganze war jetzt bald ein Vierteljahr her. Niemals würde sie den Abend vergessen, an dem sie bei Kerzenlicht beisammensaßen und der Vater ihnen seinen Plan verkündete. Sie
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