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Die Maori-Prinzessin

Die Maori-Prinzessin

Titel: Die Maori-Prinzessin
Autoren: Laura Walden
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würde auch niemals die Erinnerung daran aus ihrem Gedächtnis streichen können, wie reglos die Mutter die Nachricht von der baldigen Auswanderung aufnahm. Dass sie manchmal stundenlang in ihrem Sessel saß und düster vor sich hinstarrte, daran hatte sich Eva mit den Jahren gewöhnt, aber dass sie nicht aufschrie, weil von ihr verlangt wurde, ihr geliebtes Heimatland von einem Tag auf den anderen zu verlassen, verwunderte Eva sehr.
    Sie selbst hingegen hatte ihre Begeisterung kaum verbergen können. Amerika war mehr, als sie je zu hoffen wagte, doch dann bekam ihre Freude einen argen Dämpfer: Nur ihren Bruder Hans wollte der Vater mitnehmen. Seine gemütskranke Frau und seine temperamentvolle Tochter sollten indessen nach Neuseeland zu irgendeiner Cousine reisen.
    »Die Fahrkarten, bitte!«, riss sie eine Stimme auf Englisch aus ihren Gedanken. Eva schreckte hoch und wühlte in ihrer Handtasche nach dem Ticket. Das hatte sie sich vom letzten Geld kaufen können, das ihre Mutter als Reisekasse mit aufs Schiff genommen hatte. Eigentlich hätte sie in Auckland abgeholt werden sollen, aber nachdem sie mutterseelenallein bis zum nächsten Tag am Kai gewartet und schließlich ein Telefon gesucht hatte, um ihre Tante anzurufen, war ihr mitgeteilt worden, sie solle den Zug nach Wellington nehmen, in Taumarunui in Richtung Napier umsteigen und sich dort vom Bahnhof zu ihrem Haus in Napier bringen lassen. Sehr freundlich hatte ihre Tante am Telefon nicht geklungen. Dabei hatte sie ihrem Vater einen netten Brief geschrieben, dass man seine Frau und seine Tochter gern für zwei Jahre aufnehme. Auf dem Weingut sei genug zu tun. Da könne man jede Hand gebrauchen.
    Nun hatten sich die Umstände offenbar geändert, denn von einem Haus in der Stadt war nie zuvor die Rede gewesen.
    »Träumen Sie?«, hörte sie den Schaffner fragen.
    »Nein, hier ist das Ticket!«, erwiderte Eva hastig auf Englisch.
    »Woher kommen Sie?«
    Eva zuckte zusammen. Hörte man es etwa, dass sie aus Deutschland kam? Dabei hatte sie doch so fleißig gelernt. Die ganze Überfahrt hatte sie nichts anderes getan, als auf ihrem Etagenbett zu hocken und sich in die Bücher zu vertiefen. Sie wollte auf keinen Fall als sprachloses Dummchen am anderen Ende der Welt ankommen.
    »Ich bin aus Deutschland«, erwiderte Eva zögernd.
    Ein Strahlen huschte über das Gesicht des Schaffners.
    »Ich hab’s gewusst. Und ich müsste lügen, wenn ich nicht gleich herausgehört hätte, dass Sie aus der Pfalz kommen.«
    Evas Miene erhellte sich ebenfalls. Sie nickte eifrig. »Ja, aus Badenheim!«
    Der Mann kratzte sich den Bart. »Kenn ich nicht, aber ich bin auch schon über vierzig Jahre hier. War noch ein Kind, als wir ausgewandert sind …« Er stockte und musterte sie prüfend. »Hat man Sie ganz allein um die Welt geschickt?«
    »Nein, mit meiner Mutter; die ist allerdings unterwegs gestorben …«
    Tränen traten ihr in die Augen; sie konnte nichts dagegen tun. Es lag wohl an diesem fremden Mann, der die ihr vertraute Sprache sprach. Hinzu kam die schmerzhafte Erinnerung an den Tag, an dem ihre Mutter nicht mehr aufgewacht war. Es stand ihr so lebendig vor Augen, als wäre sie wieder auf dem Schiff.
    »Die wird nicht mehr!«, hatte sich eine alte Frau aus dem Stockbett nebenan mitleidlos eingemischt, nachdem Eva den leblosen Körper ihrer Mutter wie eine Irre geschüttelt hatte.
    Spätestens in jenem Augenblick hatte sie gewusst, dass die Alte die Wahrheit sprach, aber sie wollte sich ihr nicht stellen. Sie stürzte aus dem Saal mit den Doppelstockbetten und schrie nach Doktor Franke. Der begleitete sie sofort zum Bett der Mutter, die er recht gut kannte, hatte sie sich doch während einer schlimmen Grippewelle, die unter den Passagieren wütete, freiwillig bei ihm als Helferin gemeldet. Eva und sie halfen unermüdlich, die Kranken zu betreuen. Immer in der Angst, sie könnten sich selber anstecken, aber sie bekamen nicht einmal einen Schnupfen. Inzwischen war die Epidemie an Bord überstanden und hatte nur wenige Opfer gefordert.
    Der grauhaarige Arzt wurde weiß um die Nase, als er sich zu Martha Schindler hinunterbeugte.
    »Ihre Mutter ist tot«, sagte er, nachdem er sie untersucht hatte.
    »Gestern war sie noch völlig gesund! Sie hatte keine Anzeichen der schrecklichen Grippe. Und sie leidet nicht unter einem schwachen Herzen. Das kann doch gar nicht sein!«, widersprach Eva verzweifelt.
    Doktor Franke machte ein Zeichen, dass sie ihm nach draußen folgen sollte,
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