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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen
Autoren: Willy Seidel
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Gestalt eines Arztes heranwinkte. –
    Eine nackte Jungfrau, wie ein Porzellanfigürchen, flatterte buntbeschwingt als Schmetterling durch arkadisches Blau, verfolgt von einem borstigen Ungeheuer, das einer monströsen Schmeißfliege glich. –
    Daraufhin gab es ein seltsames Durcheinander von kaum entwirrbaren Dingen: ein Affe trat auf, ein Chinese, ein fratzenhafter Fels, zusammen mit einer flink kletternden kleinen Gestalt im Matrosenanzug, die Angst fühlte und gläsern zu schreien schien . . . Nun wurden die Bilder beklemmender. Ein aschblonder Backfisch in langem Hemd schritt schlafwandelnd durch eine Gallerie drolliger Puppen und versetzte ihnen träumerische Nasenstüber. Sie versank in einer Sintflut und reckte die dünnen Arme nach einem kleinen Spanier, der einen untergehenden Mast umklammerte, und Tausende von Köpfen, wie von Robben, tauchten ertrinkend auf und wurden dann weggeschwemmt . . .
    *
    – – – Ich weiß nicht mehr, wie lange dies interessante Panorama, dank eifriger Geschäftigkeit Herrn Zinkeisens, noch weiterrollte; jedenfalls erschrak ich heftig, als mit letztem Plattenwechsel plötzlich seine flache Stimme ertönte: »Tja, Herr Doktor, nun ist wohl das Material vorläufig aufgebraucht, nicht?« – und als er das flammende Deckenlicht wieder anknipste. –
    Ich war wie benommen; ich mußte noch eine Weile die Augen schließen, bis all das Bunte, Quellende hinter meinen Lidern zur Ruhe kam. Doch diese törichten Abziehbildchen, die der treffliche Jamaika-Rum so lebendig gemacht, blieben mir gleichsam mahnend im Blut sitzen; ich wußte, ich müsse ihre Schicksale entwirren und schildern, um sie loszuwerden, die vertrackten Quälgeister.
    Vielleicht war dies auch Herrn Zinkeisens Absicht, und er freute sich darauf, meinen Eindruck schwarz auf weiß als Lektüre zu bekommen.
    Ob er freilich dies Buch jemals erhalten wird, ist die Frage, denn ich habe mich in der Folgezeit leider vergeblich bemüht, seinen Zigarrenladen wieder aufzufinden, und das Adreßbuch enthielt seinen Namen nicht. –
    Es fällt mir furchtbar schwer, zu glauben, er sei sozusagen selbst nur eine Fiktion gewesen an einem regnerischen Mai-Nachmittag; er ist mir noch zu deutlich in Erinnerung, und ebenso ist es seine Geschichte am Schlusse dieses Buches.
    Da er persönlich nicht sehr gut erzählte, so habe ich (da auch der ununterbrochene herzhafte Konsum des Grogs seinem Vortrag nicht förderlich war) ein kleines Epos oder, wenn man will, einen bescheidenen Roman aus ihm gemacht.
    Und damit, hoffe ich, habe ich ihm meine seltsame Verpflichtung zufriedenstellend abgetragen.
     
Erstes Bild
Das dunkle Abenteuer des Herrn Perlafinger
    In der Hofburg ist eine überkuppelte Einfahrt, die dem Verkehr offensteht. Dieser »Verkehr« schlängelt sich auf der anderen Seite des Residenzkomplexes unter dem Propyläum mit der ehernen Inhaber-Inschrift
Francisci Josephi I. R.
hindurch und hinaus.
    Es ist eine Katastrophe, daß das respektlose Stinktier »Verkehr« soviel Spektakel in der Hofburg macht, ohne daß eins von den Erzherrschaften zwischen aufklirrenden Fensterflügeln hinab nach Ruhe wettern dürft'. – – Durchaus lebensmüd wird man, wenn man es so bedenkt; nie früher wär das erlaubt gewesen.
    Dies waren die Gedanken, die Herrn Franz Josef Perlafinger bewegten. Er hauste neben der überkuppelten Einfahrt und versah Pförtner- und Kastellandienst. Beiläufig fünfundfünfzig, mußte er schau'n, wo er ein Kissen fand für seinen Lebensherbst im Dreigroschen-Elend der »Kaiserstadt«. Er saß am geschmälerten Futtertrog der zwei Adlerköpf' ohne Rumpf, die hungriger denn je pickten trotz mangelnden Verdauungsschlauchs. Aber das Münchhausensche halbe Roß hat ja auch wacker gesoffen, und so paßte denn Herr Perlafinger lediglich auf, daß dem ehrwürdigen Geflügel die Schattenkronen nicht herunterfielen. Er war ein treuer Hüter des monarchischen Begriffs . . .
    Er hatte es sehr schön und ruhig gehabt als Kammerdiener und Vertrauensmann des letzten Grafen von Wiltczek. Ein sehr angenehmer Posten! Der Graf war ein hoher Funktionär: Reichsmundschenk, der bei den seltenen großoffiziellen Anlässen mit zittriger Hand etwas Sekt in den goldenen Empirehumpen spritzen ließ. Zwei ebenso wackelige Lakaien balancierten diesen auf einem Tablett und pflanzten ihn dann vor die K. und K. Majestät, die kaum daran nippte, geschweige denn daraus zechte. – Des Grafen Aufgabe war es nun, bei diesen Habsburger
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