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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen
Autoren: Willy Seidel
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halbwelker Ballon, gerade noch in Schwebe gehalten durch moralische Fingerstüber, aber ohne pfeilgeraden Trieb mehr, in die heroische Welt der wienerischen Halbgötter hinaufzuschießen. Er war in seiner Bekleckerung durch verirrten Schnupftabak und Gulaschspritzer, beschwert von stählerner Uhrkette, keine Staatsangelegenheit mehr.
    Aber sah man ihn so im Parkett, spähte man steil über seine Wölbung nach unten, so sah man lediglich die Rundung und all das Unzulängliche war barmherzig verwischt.
     
    Es ist nach sechs Uhr im März: durch die französischen Fenster blinkt ein grellweißer Himmel. Alles ist stumm, entrückt; voll von der Weihe eines nach letzten, höchsten Machtexzessen zusammengesunkenen Regimes.
    Strenge Fürstinnen, kokette Thronfolger, Schlachtenlenker der Boudoirs, süße Puppengesichter unter beschleiften Chignons, grünsamtene Knaben mit der schmollenden Erblippe, zierliche Hifthörnchen schwingend wie Honigkringel . . . Dann wieder stilvoll aufgebaute Feldherrenhügel, Gepurzel verfilzter Reitergruppen in brauende Kessel von Kriegspanoramen: dies ist für Herrn Perlafinger der Hintergrund.
    Über einem Porphyrkamin steigt ein Spiegel an; etwas getrübt ruht der in einer Umrandung gelbsilberner Voluten. Herr Perlafinger nähert sich ihm und starrt sich an. Die Ähnlichkeit mit dem erhabenen Spender seines Taufnamens ist verblüffend. Verwittert ist dieser Kopf: gelbliche Hautfarbe, kranzartiges Fältchenspiel an langlidrigen, leicht schiefgestellten Augen, ein gelbes, gesundes Zahngeheck und dann der Backenbart , ein peinlich ausrasiertes Kinn zwischen den Flügeln hegend wie ein rosa Ei!
    Der Backenbart! Diese wunderbaren runden, graumelierten Polster rechts und links!
    Perlafinger wendet sich ab, erschüttert von der mühsam zur Vollendung gezüchteten Ähnlichkeit! Hört er nicht Anspielungen darauf Tag für Tag? Es ist schon was dran! Tolles Gefühl, dem alten Franzel Höchstselig so grad ins Gesicht hineinzublinzeln, und auch Er muß dann blinzeln, und man kann mit Ihm machen, was man möcht'! – – Breit läßt er sich in einen Prunksessel nieder, und der Kaiser verschwindet aus dem Spiegel.
    Perlafinger grinst traumverloren und raucht. Lichtblau zieht sich wie welliger Schleier der Qualm durch die Hofburg-Atmosphäre. Zuweilen knackt ein Sofa, ein Prunkbett, ein Stuhl. Erinnerungslächeln umspielt seinen Mund; durch strählende Finger gleitet der Backenbart. Er geht zuweilen zur chinesischen Vase an der Tür und stäubt seine Asche hinein. Es ist dämmrig geworden; noch einmal marschiert er sinnend durch die vierundzwanzig Türen, und überall in den Spiegeln begleitet ihn ein ehrwürdiger Greis: der rechtmäßige Inhaber einst dieser und vieler anderer Räume; leicht gebückt.
    Nur etwas zu feist. Und unwahrscheinlich bürgerlich.
    Und Herr Perlafinger denkt an ein Geschehnis, das reichlich lang her ist. Er denkt an Ilonka  . . .
    Er hatte diese Ilonka, die gräfliche Mätresse, im Auftrag seines Herrn ins Bockshorn gejagt. Er hatte ihr dargestellt, daß im Kabinett bereits erwogen werde, ob man sie entfernen solle, »deportieren«, wenn ihr der Ausdruck sympathischer sei . . . Und zwar aus Wien, irgendwohin an die Grenze. Sie solle gescheit sein und in Gottes Namen die Abfindung nehmen, die man ihr anbiete, und die Hofburg nicht weiter beunruhigen. Die Majestät habe ohnedies soviel Schererei in der eigenen hohen Familie von wegen Dispensen, die man Ihm von Gemüts wegen erpresse, von nervenfolternden Kompromissen im Interesse weitaus wichtigerer Damen, als Fräulein Perchtenleitner jemals darzustellen hoffen dürfe. So sei Er äußerst heikel auf den Punkt der Seitensprünge zu sprechen, und wo Er merke, daß man Ihn, das heißt Seine Herren Söhne, kopieren wolle, da werde Er nicht mehr lange fackeln. Er habe in der letzten Zeit ohnehin die Moral stark unterstrichen und daß Er's sauber haben wollt' um Seine heilig römische Person herum. Sie solle nur so weiter machen mit Eingaben gegen den Herrn Reichsmundschenken; dann werde das Erzhaus ihr schon die Macht zeigen. Gott sei Dank sei ihr Tratsch noch im Keim zu ersticken, wenn sie vernünftig sei; und für das Buberl werd' der Herr Reichsmundschenk schon einen Vater besorgen.
    Der Vater fand sich denn auch im k. und k. Infanterieregiment (Deutsch und Hochmeister Nr. 4), ein charmanter Feldwebel. Der Krieg raffte ihn aber leider am Isonzo hinweg. Zunächst natürlich war dann davon die Rede gewesen, daß etwa Herr
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