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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen
Autoren: Willy Seidel
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einer Massenfütterung. Nackte Tatsachen werden da geboten; nichts zum Träumen. – Und was ist die Würze des Lebens, mein Herr? – Die Träume.«
    Ich staunte. Denn Herr Zinkeisen ließ in seinem Äußeren gar nicht vermuten, daß er ein so verpöntes Steckenpferd im Geheimen ritt. Aber dies Innenleben in einem Allerweltsschädel nebst proprem Scheitel, leicht glotzenden hellen Augen und einer behutsamen Kleinbürgerlichkeit war echt deutsch, sehr rührend und ein wenig lächerlich. –
    Und er fügte noch etwas hinzu, das mich aufhorchen ließ; er sprach: »Mit diesem Kasten flüchte ich ins Land der Phantasie. – Dies Land, verstehn Sie, ist die einzige deutsche Kolonie, die wir behalten haben.« –
    Hatte er nicht dreimal recht? Gibt es da eine Mandatswirtschaft? Bleiben wir da nicht die Herren? Haben wir den anderen diese Domäne (so ausgeplündert wir auch dastehen vor aller Welt) nicht erfolgreich unterschlagen, und können sie uns dorthin etwa eine »Kontrollkommission« nachschicken? Gibt es nicht dort Herzleid und Erhabenheit und tolleres Geschütz als jedes erfundene? –
    Und er fuhr fort: »Wenn ich so sinniere bei meinen Bildchen, dann leist' ich Verzicht auf die ›Große Welt‹. – Tja . . . wenn ich so'n büschen geistig ausschweife, denn hab' ich sie alle in der Tasche, die Rechenkünstler und Fisematentenmacher und Wucherer vom grünen Tisch. Gut! sage ich, – folgen Sie mir, meine Herrschaften! Und sie sitzen trübe da und schneiden mit ihren Papierscheren blutende Wunden in unseren Volksbestand und schnippeln an unseren Grenzen herum . . . Folgen Sie mir! sage ich. – Aber sie können nicht, denn wir haben Raum. Wir haben die Phantasie. – Hmm. –«
    Als ich das hörte, setzte ich keinen stählernen Helm aufs Haupt oder nannte es Pazifistenmoral und vertrackte Drückebergerei. Ich fand es im Gegenteil ganz vernünftig. Dieser Mann hatte sein Teil weg; er erholte sich auf seine Weise. – Ich war weder ein unbedingter Anhänger jenes alternden Geheimen Rats, der eine Literaturmauer um sich baute, als es in dem, was er Vaterland hätte nennen müssen, erbärmlich drunter und drüber ging; – noch auch schwenkte ich einen Hut bei jeder Gelegenheit, die einen Mann-zu-Roß antraben ließ, gleichviel aus welcher Richtung. So schenkte ich mir alle Bedenken hinsichtlich Herrn Zinkeisens und sagte mir: Sieh da; ein deutsches Individuum! Wie es uns im Einzelfall so stärkt und im Volksfall so schwächt! – Und woher kommt das? Weil von jeher der Mensch uns wichtiger ist als die Menschheit und weil, nach unserem voreiligen Dafürhalten, ein deutscher Kellner oder Zigarrenhändler intimere Beziehungen zur »Weltseele« unterhalten kann als der Herrscher von Zeitungen, der sein dumpfes Millionenpublikum mit Gebrauchsbildung versorgt.
    Der (wirklich unvergleichliche) Grog ließ des Mannes Rede in meinen Ohren vielleicht lieblicher erklingen, als sie von Natur aus war; jedenfalls war jenes Bonmot vom »Land der Phantasie« fast zu gut für ihn, denn im Grunde zeigte er sich, wie auch seine eigene Geschichte dartun wird, als schlichte Seele. –
    Ich ermunterte ihn nun, da ich neugierig war, mir seine magische Laterne vorzuführen. Hierauf entfernte er die Möbel von der weißgestrichenen Wand uns gegenüber, drehte das Deckenlicht ab und entwickelte im Dunkeln eine rege Geschäftigkeit. Glasplatten klapperten, und nun erschienen auf der Wand lebensgroße Figuren – von bunten Abziehbildchen erzeugt, die innerhalb des Kastens von einer offenbar sehr starken Birne bestrahlt wurden.
    Langsam wechselten die Bilder. Es war als träten diese bunten Schemen in unsere Gemeinschaft ein; gesellten sich flüsternd uns zu . . . Herr Zinkeisen entfachte den Grog, den er nachfüllte, mit einem Streichholz, und im violetten Flackerlicht verstärkte sich der Eindruck des gespenstisch Lebendigen, schwellend Hervortretenden, plastisch Atmenden dort in der Wand . . .
    Ein Herr mit rundem Backenbart floh vor einer hübschen Mulattin.
    Ein David in silbernem Schuppenkleid fällte einen Goliath, der niederprasselte, irres Erstaunen im Blick. Die Pupille eines waschblauen Auges rollte innerhalb eines goldenen Dreiecks verschmitzt hin und her. –
    Dann sah man einen Jongleur, der mit Apfelsinen spielte – plötzlich platzten sie in einer lohenden Katastrophe. –
    Zwei Rokokodamen prügelten sich um eine Marionette; hinter ihnen dämmerte eine Eule auf, die an Schlaflosigkeit litt und den Tod in
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