Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen
Autoren: Willy Seidel
Vom Netzwerk:
Schwanengesängen (die immer gedämpfter klangen, bis der Krieg der Monarchie den letzten Wind nahm) – zu spähen, ob der Kaiser nicht auf dem Trockenen sitze; daß er stets frisch nachgefüllt bekomme und seine Kehle gut geölt sei für etwaige Toaste. Für dieses Amt ergab sich aber nie ein Anlaß; wenigstens in den letzten zehn Jahren nie. Deshalb sank die Würde des Mundschenks inmitten des Gewimmels der Schranzen zur stilvollen Geste herab; ja kaum zur Andeutung einer solchen.
    Mit der Monarchie – sogar noch vor deren letztem Aufflackern in der Person Karls – neigte sich auch das letzte Reis derer von Wiltczek verdorrt über den Rand des uralten Wappens.
    Im Wermut- und Baldriandunst, unter muffigem Damasthimmel, devote Floskeln als welkes Adieu in die Hand eines Erzherzogs hauchend, verschied es. Mit allen Segnungen der Kirche schwer versehen, zog der feudale Greis mit den silbernen Favoris sich hinter die Barockfassade seines Familienmausoleums zurück.
    Da die ausgesetzte Rente in der Inflation sofort schmolz und nicht einmal mehr eine »Trabuco« täglich garantierte, wäre für Herrn Perlafinger nichts übriggeblieben als das Altersheim. Der Himmel aber fügte es, daß ihm in Anbetracht dreißigjähriger Treue der erwähnte Fremdenführerposten zufiel; daß er genug zu essen hatte, sich drei Trabucos und eine Virginier täglich leisten konnte und sogar spazierengehen, wenn »Schluß der Vorstellung« war. – Diese Möglichkeit nützte er jedoch nur äußerst selten aus.
    Wir müssen nämlich wissen, daß der Mann ein unzufriedenes Gemüt besaß und der Verbitterung den Eingang in sein Herz gestattete. Wenn er nach Beendigung der Rundführung das Eingangsportal zu den vierundzwanzig »öffentlichen Gemächern« der Hofburg schlüsselrasselnd geschlossen, wartete er zuweilen (anstatt sich in seinen Verschlag zurückzuziehen, seinen Kaffee zu brauen und zu nachtmahlen) noch unter der Kuppel.
    Diese Kuppel mit den verblaßten Fresken dröhnte vom Lärm bellender Hupen und von der eiligen Drangsal hastender Füße. In dies Gewusel hinein lächelte von oben ein kalkiger Himmel, derselbe, der einst frisch und farbig geleuchtet hatte, da er noch über sanften Sänften und Galawagen prunkte. Nun aber war er verwittert nicht bloß durch die Zeit, sondern aus Trauer und Abscheu. Lange Risse wanderten quer über Puttenleiber, Nymphenbrüste und tabakfarbene Gliedmaßen feiernder Heroen. – »Es dauert nimmer lang,« dachte Herr Perlafinger, »dann kommt der ganze Verputz herunter samt der schönen Schilderei . . .« Gram umflorte sein Auge, wie er so dastand und mit dem Blick eines Bernhardiners die todgeweihten Nacktheiten bespähte. Er hatte nämlich Sinn für Kunst, besonders wenn sie ihm gewisse angenehm-plastische Vorstellungen erweckte.
     
    War es noch zu früh für das Abendmahl, so harrte er aus, bis die Verkehrskuppel zufällig einmal leer war; dann sperrte er das Portal geschwind wieder auf und war nun ganz allein in der Hofburg. Er brauchte sich keinen Zwang anzutun, durfte sich soweit gehen lassen, als die tolerant gelaunte Tradition in diesen Gemächern es ihm gestattete. Hier war man sozusagen »unter sich«. Gemästet von dynastischem Prunk, hervorgesogen aus der Seide der Saalwände, geschöpft aus der Tiefe unendlich aufgeworfener weißgoldener Flügeltüren, schwoll Herrn Perlafingers innerer Protest gegen das scheußliche Draußen; gegen das heutige Wien.
    Hier innen war er gefeit und geborgen unter den stilvollen Gespenstern des Gestern. Denn nicht sehr alt war dies Gestern trotz der hundertfünfzigjährigen Möbel, der dreihundertjährigen Gobelins; es huschte hervor und begleitete seine einsam knarrenden Schritte auf dem Parkett. Denn er ging jetzt nicht auf dem Läufer, über den er die Fremdenhorden hinübergetrieben. Er ging auf der dämmrigen Parkettiefe als Mitbestandteil der Dinge, die sie spiegelte und in zerfließenden Farbtupfern in ihre Märchentiefe lockte. Ebenso wie der Traum jedweden Gegenstandes darin geisterte (das Weiß zierlichster Öfen, das Türkisblau mannshoher Vasen, das vergoldete Kupfer-Rokoko, das Goldfunken heruntertropfte, das Facettengewirr der Lüster, wie blühend im braunen Sumpf) – ebenso spiegelte sich auch der Bauch Herrn Perlafingers, verkehrt zwar, doch trotzdem ebenbürtig hindurchgetragen.
    Ja, dieser Vorkriegsbauch – es gab ihn noch, wenn zwar nicht so straff und proper mehr. Er hatte Falten, wie alles andere an seinem Besitzer. Er war ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher