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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen
Autoren: Willy Seidel
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Perlafinger selber  . . . (bitt' Sie, unmöglich! . . .) einen Laden aufmachen sollt', eine Trafik, wo er's doch so gut hatte; wo er so verantwortungslos und sorgenfrei in der Wolle saß . . . Seinen prächtigen Frack sollt' er ausziehen? Seine Eskarpins? In den Küchendunst eines kleinbürgerlichen Betriebs hinuntersteigen? – Übrigens war die Ilonka, blauäugig und drall, durchaus eine Lockspeise für ein Mannsbild. Und auch Intelligenz durchblicken ließ das Weib, sobald sie sichergestellt war.
    Kurz, die Episode hatte er ins reine gebracht ohne Zeitaufwand und insofern Dankbarkeit geerntet, als der Graf ihn, solang der Krieg brenzlich war, als »unabkömmlichen Sekretär« in der Etappe benötigte oder als Küchenchef im Stabstrain, wo man den Krieg nur ganz von fern pumpern hörte . . . So gab es von beiden Seiten Vertrauensbeweise. Oder geschah dies alles nur, weil man einen Doppelgänger des Allerhöchsten Kriegsherrn nicht der Schlachtbank opfern wollte?
     
    Als Herr Perlafinger an einem dieser Tage in seinem Verschlag ins Bett ging, konnte er durchaus nicht schlafen, denn die Ilonka meldete sich immer dringlicher in seinem Gedächtnis. Weiße glatte Haut hatte sie gehabt, weißbestrumpfte Waden und allerhand doppelte Rundungen, wo sie hingehörten. In reicher Fülle und doch sozusagen knapp. Recht jung und bockig, wie sie halt sind mit neunzehn; aufgehetzt auch noch von einer gewissenlosen sozialdemokratischen Verwandtschaft, die natürlich eine dauernde Anzapferei vorhatte an Seiner Erlaucht.
    Herrgott! Wenn er, Perlafinger, doch zugegriffen hätte? Der Graf hätt' ihn zwar »außerg'worfen«; aber das mit dem kleinbürgerlichen Milieu hätt' er schon passend modeln können nach eigenem Geschmack. Und der Graf hätt' ihn sicher ausreichend finanziert, so daß er von einem Roßhaarpfühl übergesiedelt wär' auf ein lebendig-elastisches. Verlust an Bequemlichkeit wär' das kaum gewesen. Eigentlich fast ein Profit! Es hätt' ihn ja schließlich nichts gehindert, trotzdem ein feiner Herr zu bleiben und die Ilonka heimisch zu machen auf seinem Niveau . . .
    Er seufzte. Sollte er am Ende damals nicht doch eine Riesendummheit gemacht haben in seinem byzantinischen Dusel und engen Horizont? Es blendet den Blick, wenn man immer nur Hofschranzen sieht und Uniformen. Es verstopft das Ohr gegen Naturlaute, wenn man immer auf Getuschel lauschen muß wegen der Konkurrenz der anderen Leisetreter. Den schönsten Teil seines Lebens hatte er dafür weggeschmissen, und nun war er fünfundfünfzig.
    Er träumte von den Nymphen an den Freskodecken. Mitten unter ihnen saß die Ilonka in verschobener Fernrohrperspektive; sie hatte ein fernes mythologisches Getu', und auf ihrem drallen Schenkel ritt ein Putto. Der vom gefallenen Feldwebel adoptierte Putto. Der bohrte dem einsamen Träumer einen rundlichen Finger voll Schadenfreude mitten ins Herz . . .
    Er schrak auf. Beklommen und unzufrieden. Zunächst war der schwellende Protest wieder da gegen Wien. Es war nicht mehr sein Wien; das war radikal weggefegt. Nichts war übrig davon als eine absurde Anhäufung von Großstadtelend ohne Hinterland, als ein Kopf ohne Rumpf. – Ilonka und ihresgleichen hatten jetzt darin das große Wort. Und trotzdem erschien sie ihm (als Teilhaberin seiner Tradition und ins gräfliche Wohlwollen so eng einst hineinbezogen) auf einmal besonders begehrenswert, wie alles Versäumte.
    Wie alt sie wohl war? – Beiläufig vierzig. Und ob sie wohl einigermaßen konserviert war? – Was eine waschechte Wienerin ist, hält auf sich.
    Du wirst einmal schauen müssen, dachte er auf seinem einsamen Lager, wo sie steckt, was sie so treibt; unverbindlich herantrudeln wirst du müssen . . . Dann kannst du sie herausholen und sie umgestalten, bis sie reif ist fürs bessere Leben! – Wie bitte? Wieso besseres Leben? Was bietet man ihr denn? Einen Fremdenhirt mit Bauch und Backenbart, der Sprüchlein schnurrt! Der in die Ohren der Besucher hinein folgendes predigt: »Der Kaiser Koarl ergriff das Steuerruder des Staatsschiffes noch einmal mit hoffnungsvoller Hand; doch ein tragisches Schicksal wollte, daß es kenterte . . .!« –
    Nach solchen resultatlosen Erwägungen beschloß Herr Perlafinger, in den nächsten Tagen einmal auf die Suche zu gehen. Er war immerhin erst fünfundfünfzig Jahre.
     
    Er machte sich bereits am folgenden Tag auf, an dem keine Besichtigung der Hofburg stattfand. Er gürtete seine Lenden, indem er sich in
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