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Die Mädchenwiese

Die Mädchenwiese

Titel: Die Mädchenwiese
Autoren: Martin Krist
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Haaren auf der Wange, den Geruch der Zigaretten und des Abendessens in der Nase, war ich so glücklich, wie ein Kind es nur sein konnte. Und später, als ich älter wurde, begriff ich, was es war, das ihre Beziehung so einzigartig machte: die Fähigkeit, in den wenigen Augenblicken des Innehaltens, die ihnen die tägliche Mühsal ließ, das gemeinsame Glück zu genießen.
    Sie wollen wissen, was das mit den jetzigen entsetzlichen Ereignissen zu tun hat? Das erzähle ich Ihnen gerne. Aber um die Gründe zu verstehen, müssen Sie die Geschichte von Anfang an hören. Und alles begann mit meinen Eltern. Oder vielleicht sollte ich besser sagen: Alles Gute endete mit meinem Vater.
    Kapitel 2
    »Wie bitte?« Laura Theis blieb stehen und sah ihren Sohn entgeistert an. »Was hat dein Vater gesagt?«
    »Dass … dass …«, Sams Stimme war nicht mehr als ein Flüstern, »… dass wir bald wegziehen und dass wir …«
    »So ein Blödsinn!« Unwirsch fegte sie die Haarsträhnen beiseite, die ihr ins Gesicht hingen. Dabei bemerkte sie ein paar Rentner und Hausfrauen, die sie über die Supermarktregale hinweg anstarrten. Es würde sicherlich wieder Gerede geben: Hast du schon von der Theis gehört? Jetzt zieht sie also weg. Das musste ja so kommen.
    »So ein Blödsinn!«, wiederholte Laura, diesmal deutlich leiser. Sie ergriff Sams Hand. »Und jetzt komm, du brauchst noch deine Pausenbrote.«
    »Aua, mein Fuß.«
    »Ach Sam, bitte, du trägst seit zwei Wochen keinen Gips mehr.« Sie zwängten sich an den Regalen vorbei, die in dem Dorfladen zu derart schmalen Gängen aufgereiht standen, dass man mit einem Einkaufswagen nur mühsam hindurchgelangte. Erst recht nicht mit einem tollpatschigen Jungen. In diesem Moment stieß Sam mit seinem Rucksack gegen Raviolibüchsen. »Sam, pass doch auf!«
    Er gab einen wehleidigen Ton von sich. In einiger Entfernung bog eine alte Dame mit ihrem Rollator in den engen Gang. Sam wurde langsamer.
    »Wenn du weiter so trödelst, verpasst du den Schulbus.« An ihren eigenen Bus, den sie für die Fahrt zur Arbeit in einem Berliner Callcenter erwischen musste, mochte Laura gar nicht denken. In diesem Moment klingelte ihr Handy.
    »Ja, Rolf, was ist?«
    »Du hattest angerufen.«
    Die ruhige Stimme ihres Mannes machte sie wütend. »Ja, schon am Freitag.«
    »Tut mir leid, aber ich war mit …«
    »Nein, ich will’s gar nicht hören. Es interessiert mich nicht, was du mit ihr getrieben hast, okay?«
    Die alte Frau hatte sich inzwischen einen Weg durch die Regale gebahnt und stand mit einem Mal unmittelbar vor Laura. Diese zwängte sich an der Gehhilfe vorbei und streifte dabei ein Regal mit Colaflaschen, die wankten, aber nicht umfielen. »Sag mir lieber, warum du Sam so einen Blödsinn erzählst. Von wegen wir ziehen weg. Einen Teufel werden wir tun.«
    »Aber es wäre besser für uns, wenn wir das Haus verkaufen.«
    »Du meinst, es wäre besser für dich !« Lauras Handy piepte. Sie hatte eine SMS erhalten. Dann vernahm sie ein Knistern. »Sam, leg die Chipstüte zurück. Und komm endlich. Sonst verpasst du tatsächlich den Bus.«
    Schwerfällig trabte er los.
    »Sam, verdammt noch mal, beweg deinen Hintern!«
    »Wie redest du denn mit dem Jungen?«, rief Rolf.
    Sie packte Sam am Pulloverärmel und zerrte ihn hinter sich her. »Rolf, ich möchte nicht ständig …« Ihre Worte gingen in einem ohrenbetäubenden Krachen unter.
    »Was war denn das?«, erkundigte sich ihr Mann erschrocken.
    Zu Sams Füßen rollten Suppendosen, die er mit seinem Rucksack umgeworfen hatte. Die Blicke aller Leute waren auf sie gerichtet. Die Theis und ihr komischer Junge. Mal wieder typisch.
    »Rolf, pass mal auf«, sagte Laura erbost, »kümmer’ du dich einfach um das verflixte Dach, okay? Letzte Woche hat es schon wieder ins Haus geregnet.« Sie kappte die Verbindung. »Und du, Sam, kannst du dich nicht einfach mal am Riemen reißen? Ist das denn wirklich zu viel verlangt?«
    Verängstigt zog Sam seinen struppigen Kopf zwischen die Schultern. Seine Lippen bebten, und seine Augen füllten sich mit Tränen.
    Laura atmete tief ein und wieder aus, bezwang ihre Verärgerung. Sie las die eingegangene SMS : Laura, Liebes, hast du gut geschlafen? Hoffe doch … Freue mich, dich gleich zu sehen. HDL , dein Patrick.
    Patrick war ihr Arbeitskollege, mit dem sie sich seit ein paar Monaten auch privat traf. Sie warf ihr Telefon in die Handtasche und bückte sich nach den Konserven. Fielmeister’s Beste. Das Beste für den
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