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Die Mädchenwiese

Die Mädchenwiese

Titel: Die Mädchenwiese
Autoren: Martin Krist
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angekommen, öffnete Alex den Briefkasten. Sieben Briefe und ein Päckchen kamen ihm entgegen. Das Päckchen riss er zuerst auf. Als hätte er seit Tagen nichts mehr zu fressen bekommen, schnappte Gizmo nach den herabflatternden Pappfetzen.
    »Ich an deiner Stelle«, sagte Ben amüsiert, »würde mal ein ernstes Wort mit dem Hund reden.«
    »Ich rede ständig mit ihm, aber er hört mir einfach nicht zu.«
    Der Retriever spitzte die Ohren und neigte den Kopf.
    »Es sei denn, es geht ums Essen.«
    Gizmo bellte zustimmend.
    »Siehst du«, sagte Alex an Ben gerichtet, » das meinte ich.« Er zog eine CD aus dem Päckchen. Nirvana. Nevermind . Original Master Recording.
    »Hast du nicht gesagt, die gibt’s nicht mehr?«, fragte Ben.
    »Hab’ sie bei eBay entdeckt.«
    »Und? Teuer?«
    »Frag besser nicht.« Alex blätterte durch die Briefe. Drei waren von Brauereien, vermutlich Rechnungen, zwei vom Gaststättenverband, einer vom Finanzamt. Der Absender des letzten Briefes war die Stadt Berlin. Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung . Als Alex das Kuvert öffnen wollte, ließ ihn das Geräusch einer Hupe innehalten. Ein BMW rollte am Schulbus vorbei, der an der Haltestelle wartete, bis vor die Kneipe.
    Die Tür öffnete sich und gab den Blick frei auf Bundfaltenhose, Hemd und Sakko mit Manschettenknöpfen. Norman strahlte über das ganze Gesicht und strich sich durch die blondierten Haare. »Herrgott, Jungs, was trödelt ihr denn so? Können wir endlich?«
    Paul zeigte ihm den Mittelfinger.
    Norman lachte. »Als dein Anwalt rate ich dir …«
    »Du bist nicht mein Anwalt«, widersprach Paul, »schon seit fünf Jahren nicht mehr.«
    »Echt? Fünf Jahre?« Ben kratzte sich an seinem unrasierten Kinn. »Wenn man dich manchmal reden hört, könnte man meinen, deine Scheidung ist erst fünf Tage …«
    »Und du … kannst mich auch mal kreuzweise.«
    Auf der gegenüberliegenden Straßenseite mühte sich Frau Krause mit ihrer Gehhilfe über den holprigen Bürgersteig und verzog ihr Gesicht vor Missfallen.
    »Also manchmal muss ich mich wirklich für meine Freunde schämen.« Ben lachte leise.
    »Sag’ ich doch.« Alex warf die Briefe in den Rucksack und öffnete die Kofferraumtür des BMW . Kläffend sprang Gizmo zwischen die Angeln, Kescher und Köderkisten. »Also, was jetzt? Soll die Endeavour ohne uns ablegen?«
    Laura musste einige Sekunden warten, bevor die Lehrerin auf ihre Frage reagierte.
    »Tut mir leid, Frau Theis«, tönte es schließlich aus dem Hörer, »aber Ihre Tochter ist schon wieder nicht zur Schule gekommen. Deshalb, und weil der Bus zum Museum jeden Moment losfährt, wollte ich mich kurz bei Ihnen melden.«
    »Deshalb?« Nervös spielte Laura mit ihren Haaren. »Frau Bertrams, was soll das heißen? Schon wieder? Und ob Lisa wieder krank ist? Das war sie die letzten Wochen nicht und …«
    »Aber sie hat in jüngster Zeit wiederholt im Unterricht gefehlt. Angeblich war sie krank.«
    »Nein, ich sagte doch, das war sie nicht.«
    »Sie hatte Entschuldigungsschreiben. Von Ihnen unterzeichnet.«
    »Aber … Warten Sie einen Augenblick!« Laura hielt Ausschau nach ihrem Sohn. Mit den beiden Sandwiches in der Hand schlenderte er den Bürgersteig entlang und betrachtete die abgetretenen Pflastersteine. »Sam, der Bus!«
    In diesem Moment schlossen sich zischend die Fahrzeugtüren. Das Dröhnen des Motors scheuchte die Spatzen aus den Baumwipfeln. Kurz darauf war der Bus zum Ortsausgang hinaus verschwunden. Als ginge ihn das alles nichts an, kickte Sam Kieselsteine in einen der wilden Sträucher am Dorfplatz. Es gab Tage, da trieb er Laura zur Weißglut.
    »Frau Bertrams, es tut mir leid«, sprach sie in ihr Handy, »aber ich habe keine Entschuldigungsbriefe für Lisa unterschrieben.«
    »So etwas habe ich mir fast gedacht. Deshalb rufe ich Sie ja an. Damit Sie Bescheid wissen. Und über alles Weitere müssten wir später reden, denn, wie gesagt, unser Ausflug startet in wenigen Minuten. Würde es Ihnen morgen früh passen?«
    Nein, das passt mir gar nicht , hätte Laura beinahe geantwortet, doch stattdessen sagte sie: »Vormittags muss ich arbeiten, am Nachmittag wäre mir daher lieber.«
    »Ist Ihnen 16 Uhr recht?«
    Laura willigte ein, beendete das Gespräch und ging in Gedanken den Ablauf des folgenden Tages durch. Sie würde noch ein paar Minuten früher aufstehen müssen, damit sie sich wenigstens die Haare frisieren konnte und Sam nicht erneut den Bus verpasste. Sie hoffte, ihre
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