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Die Mädchenwiese

Die Mädchenwiese

Titel: Die Mädchenwiese
Autoren: Martin Krist
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in Tränen aus. »Ich habe Lisa … gesucht.« Seine Worte wurden von Schluchzern erstickt. »Und dann war da Ben.«
    »Ist er hier?«
    »Hallo?«, erklang es aus der Dunkelheit. Alex leuchtete in die Richtung, aus der die Stimme kam. In einer zweiten Zelle kauerte ein nacktes Mädchen mit einem Sack über dem Kopf. Unbändiger Zorn stieg in Alex auf. »Wo ist Ben?«
    »Er ist weg«, schluchzte Sam. »Er … er wollte noch etwas … erledigen. Etwas Wichtiges.«
    Alex betrachtete die Zellentür. Ohne geeignetes Werkzeug würde er das schwere Schloss nicht öffnen können. »Sam, ich komme wieder.«
    Der Junge schrie ihm hinterher. Das Mädchen weinte hemmungslos. Alex rannte den Weg zurück, stürzte die Stufen hoch, stolperte den Gang entlang und taumelte ins Freie. »Dein Handy. Schnell!«
    »Wieso?«, rief Paul. »Was ist?«
    »Ruf die Polizei. Sofort!«
    Auf der Intensivstation brach das Chaos aus. Krankenschwestern stürmten heran, ein Doktor hetzte mit wehendem Kittel hinterher. Der Polizist, der neben der Schleuse saß, hatte Mühe, in dem Gewusel der Ärzte und Pfleger den Überblick zu bewahren. Augenblicklich spürte Laura ein Gefühl der Beklemmung.
    »Ist was mit meiner Tochter?«, fragte sie eine Krankenschwester. Ohne ein Wort rannte diese an ihr vorbei.
    »Was ist mit meiner Tochter?«, schrie sie einer anderen Pflegerin zu. Doch auch diese hatte kein Auge für Laura.
    Wieder öffnete sich die Schleuse. Lauras Blick hetzte panisch in den Flur. Schwestern und Ärzte rannten kreuz und quer. Dann verschloss sich die Schleusentür.
    »Vorsichtig«, rief eine Stimme hinter ihr. Ein Arzt eilte auf sie zu.
    Sie verstellte ihm den Weg. »Ist was mit meiner Tochter?«
    »Ihrer Tochter?«
    »Lisa. Lisa Theis.«
    »Nein«, der Doktor eilte weiter, »ein kleiner Junge wurde bei einem Autounfall angefahren.« Die Schleuse öffnete sich, und Laura sah, wie ein schluchzendes Pärchen von einer Pflegerin zum Ausgang geführt wurde.
    Die leidenden Eltern zu sehen, war Laura unerträglich. Die Alarmsirenen, die unentwegt heulten, waren kaum zum Aushalten. Sie wandte sich ab. Am Fenster stand ihr Mann, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben.
    »Es ist nicht Lisa«, sagte er.
    Laura nickte und beruhigte sich wieder. In diesem Moment ging die Glastür zum Treppenhaus auf. Ihr Schwager stolperte in den Krankenhausflur, ein Handy am Ohr. »Wo ist er? Ist er hier?«
    Der ängstliche Ausdruck in seinem Gesicht ließ Laura erneut in Panik ausbrechen. »Wer?«
    »Ben. Ben Jäger!«
    Laura drehte sich um. Der Betreuer war verschwunden.
    Wieder der schrille Ton in Lisas Ohren. Eine Musik, die Erinnerungen weckte. Schreckliche Erinnerungen. Erschrocken schlug sie die Augen auf, doch da war nur ein graues Nichts.
    Sie versuchte sich zu bewegen. Was immer unter ihr lag, schaukelte sanft. Unter ihren Armen spürte sie etwas Weiches, auch unter ihren Beinen und ihrem Kopf. Ein Bettlaken. Jetzt stellte sie erleichtert fest, dass es keine Musik war, die sich in ihren Schädel bohrte, sondern das Gefiepe einer … Alarmsirene. Wie die in einem Krankenhaus.
    Bilder stiegen in ihr auf, verschwommen nur. Ihre Mutter. Alles wird gut. Ihr Onkel, der ihr Fragen stellte. Es fiel ihr schwer, sich zu entsinnen. Woran sie sich allerdings sehr gut erinnern konnte, waren die Schmerzen, die sie erlitten hatte, auch wenn sie jetzt nur wenig davon spürte. Sie war befreit von allem. Fast körperlos. Wenn nur nicht dieses Pfeifen wäre. Aber es ist immer noch besser als die Musik.
    Sie nahm eine Bewegung neben sich wahr. Lisa blinzelte. Es war kein Arzt.
    »Ich bin bei dir«, sagte er lächelnd. »Wie ich es dir versprochen habe.«
    Lisa wollte aufstehen, aber ihre Arme und Beine reagierten nicht. Sie wollte schreien. Doch sie brachte keinen Ton über die Lippen. Sie konnte nur daliegen, ihm schwach und hilflos zusehen. Und das Gejaule des Alarms war die Musik dazu.
    Er streichelte ihre Wange. »Niemand geht fort von mir.«
    Er hielt eine Spritze in der Hand. Beugte sich vor und führte die Nadel an ihren Arm. Von irgendwo drangen laute Stimmen durch den schrillenden Ton.
    »Diesmal wird es ganz schnell gehen«, flüsterte er.
    Jemand rief. »Wo ist er? Ist er hier?«
    Die Stimme von Onkel Frank!
    Und ihre Mutter. »Lisa!«
    Die Tür zum Krankenzimmer wurde aufgestoßen. Männer stürzten in den Raum. Lisa sah ihren Onkel. Polizisten in Uniform. Sie zerrten ihren Peiniger von ihr fort. Dann schob sich das Gesicht ihrer Mutter ins Licht. Sie
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