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Die Mädchenwiese

Die Mädchenwiese

Titel: Die Mädchenwiese
Autoren: Martin Krist
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viel schlimmer. Verstehen Sie?
    Es ist nicht zu Ende.
    Kapitel 58
    Alex ließ die Worte der Kirchberger in sich nachklingen. Nur beiläufig bekam er mit, wie sie sich aus dem Sessel stemmte und ihren gebrechlichen Körper in die Küche schleppte. Er hörte Wasser in ein Glas plätschern, dann schweres Schlucken. Ohne Pause hatte sie gesprochen, fast zweieinhalb Stunden lang.
    Sie kam zu ihnen zurück in die Stube und ließ sich wieder in den Sessel fallen. Staub wirbelte auf. Paul hüstelte. Alex wedelte mit der Hand, wie um jeden Zweifel fortzuwischen.
    Seine Skepsis war groß gewesen, als er mit Paul den Hof von Bauer Schulze verlassen hatte. Gab es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen den schrecklichen Mädchenmorden der Bestie und der buckligen Greisin, die seit Jahren zurückgezogen lebte und nur spätabends durch das Dorf geisterte?
    Die alte Hexe, hu-hu-hu!
    Alex betrachtete die kleine Gestalt. Jede ihrer Bewegungen grub den Schmerz noch tiefer in ihr Gesicht. Vielleicht war es aber auch nur die Erinnerung, die an ihr nagte – bei jedem Schritt, den sie in diesem Schreckenshaus tat. Die Dunkelheit schien die Scheußlichkeiten der Vergangenheit auf ewig zwischen den Mauern zu konservieren.
    Durch die zugewachsenen Fenster fiel kaum Licht. Eine schwache Glühbirne erhellte den Raum nur mäßig. Trotzdem war das Blumenmuster des Bezugsstoffs der Polstermöbel zu erkennen, das sich in den geschlossenen Vorhängen wiederholte. Staub bedeckte zentimeterhoch die Schränke. Der Teppich war dreckig und stellenweise löchrig. Es musste Jahre her sein, dass er das letzte Mal gesäubert worden war.
    Es dauerte drei Stunden, bis ich davon überzeugt war, jeden Blutfleck und jeden Knochensplitter entfernt zu haben.
    Auch jetzt, Stunden nach ihrer Ankunft, konnte sich Alex’ Nase nicht an den Gestank gewöhnen, mit dem die Kirchberger und ihr Haus sie empfangen hatten. Es war der Geruch von Alter und Krankheit. Verwesung. Und Tod! Wie hatte sie bloß in diesem Haus weiterleben können? Das ihr jeden Tag aufs Neue die Gewalt und den erlittenen Schmerz vor Augen hielt. Und den Verlust!
    Nachdem sie Zeugnis über ihr Leben abgelegt hatte, war Alex den Antworten auf all seine Fragen so dicht auf der Spur wie noch nie. Wer ist die Bestie? Und wer treibt sein Spiel mit dir?
    Die Kirchberger war in ihrem Sessel zusammengesunken. Durch schmale Schlitze ihrer Augenlider musterte sie die beiden Männer. Er fängt von vorne an. Und diesmal ist es noch viel schlimmer. Verstehen Sie?
    »Ferdinand ist zurück?«, fragte Paul.
    Sie fuhr erschrocken hoch. »Nein, um Gottes willen.«
    »Ihr Sohn?«, fragte Alex.
    Diesmal begnügte sie sich mit einem schwachen Kopfnicken.
    Alex verstand. » Sie haben die Leichen der Mädchen im Wald zugedeckt, richtig? Die Mädchen geradezu bestattet?«
    »Ich musste es tun.« Trotzig reckte sie ihren Hals. »Ich musste ihn doch beschützen, wenigstens jetzt.«
    »Wer ist Ihr Sohn?«
    »Nein, ich muss ihn beschützen.«
    »Er hat ein weiteres Mädchen entführt. Er wird wieder töten.«
    Sie schüttelte heftig den Kopf. »Ich muss …«
    »Sie dürfen das nicht zulassen. Nicht noch einmal.« Alex streckte die Hand nach ihrem Arm aus, er war knochig und kalt. »Wie ist sein Name?«
    Sie rückte von ihm ab.
    »Wie?«
    »Sie wissen es.« Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern. »Ich habe Sie mit ihm gesehen.«
    Alex wechselte einen Blick mit Paul. Er hatte einen neuen Namen angenommen. »Bitte, sagen Sie, wie ist sein Name?«
    Ihre nächsten Worte waren kaum zu verstehen. Erst glaubte Alex, sich verhört zu haben. Dann formten sich die Laute, die aus ihrem Mund kamen, zu einem Namen. Aber Alex weigerte sich zu begreifen.
    »Wie ist sein Name?«, wiederholte er. »Frau Kirchberger, nur so können Sie Ihren Sohn beschützen.«
    Tränen rannen über ihr Gesicht. »Berthold … Berthold … Aber ich weiß, er hasst diesen Namen. Er nennt sich jetzt …«
    »Ben«, sagte Sam erstaunt. »Was machst du hier im Wald?«
    Der Betreuer wirkte ebenso überrascht, Sam zu sehen. »Das Gleiche wollte ich dich auch gerade fragen.«
    Sam presste die Lippen aufeinander. Er zeigte zum Ufer, das hinter ihm noch zu erkennen war. »Ich bin oft hier.«
    Ben lächelte. »Ehrlich?«
    Sam nickte. »Ist mein Lieblingsplatz.«
    Der Betreuer folgte ihm durch das Unterholz zu der Lichtung. Das Glitzern auf der Wasseroberfläche war verschwunden. Wolken schoben sich vor die Sonne, verdunkelten den Himmel.
    »Und was machst du
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