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Die Mädchenwiese

Die Mädchenwiese

Titel: Die Mädchenwiese
Autoren: Martin Krist
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hier?«, erkundigte sich Ben.
    »Spielen.« Sam öffnete seinen Rucksack und holte das Simpson-Heft hervor. »Oder Comics lesen.«
    »Ganz alleine?«
    »Hier hab’ ich meine Ruhe«, flüsterte Sam. »Keiner, der mit mir schimpft.«
    Für eine Weile schwiegen sie und lauschten den Geräuschen im Wald – fröhliches Zirpen, ab und zu ein Platschen im Wasser.
    »Stimmt«, sagte Ben, »es ist schön hier.«
    Sam schwieg.
    »Ist es immer noch nicht besser geworden daheim?«, fragte Ben.
    Sam wurde traurig. Er wollte Ben erzählen, was alles vorgefallen war, aber er sagte nur: »Lisa ist immer noch nicht da.«
    »Aber man hat doch ihren Entführer gefunden, oder?«
    »Ja, ich war dabei.«
    »Wie? Du warst dabei?«
    Plötzlich platzte alles aus Sam heraus. Er berichtete von seinen Erlebnissen in den letzten Tagen, von seinem Trip nach Brudow, der Begegnung mit der alten Kirchberger, seinem schrecklichen Fund im Wald und den Ereignissen am vorigen Abend in der Kneipe. Während er sprach, fühlte er sich zunehmend erleichtert, nicht nur, weil eine schwere Last von ihm abfiel, sondern auch, weil ihm endlich jemand zuhörte, ohne ihn zu unterbrechen, zu belächeln, zu verspotten. Er hätte schon viel früher mit Ben reden müssen. Ben war sein Freund.
    »Ich hab’ mir doch nur Sorgen um Lisa gemacht«, schloss er seine Ausführungen. »Daran ist doch nichts Schlimmes, das hast du gesagt.«
    Ben nickte zustimmend, klaubte einen Stein aus dem Sand und schmiss ihn in einem Bogen übers Wasser. »Aber jetzt brauchst du dir ja keine Sorgen mehr zu machen. Sie haben den Übeltäter gefunden. Und bestimmt kommt deine Schwester bald wieder heim.«
    »Glaubst du?«
    »Aber natürlich, und dann sitzt ihr zusammen und lacht über alles. Du wirst ihr deine neuen Comic-Hefte zeigen, sie dir stolz ihr neues Kleid. Oder ihr Piercing. Deine Mutter wird sich freuen, alles wird wieder gut. Glaub mir.«
    Sam wollte ihm gerne glauben. Die Wolken schoben sich beiseite, und die Sonne brachte das Wasser zum Leuchten. Für einen Moment gab Sam sich sogar der Hoffnung hin, auch sein Vater könnte wieder zurück nach Hause kommen.
    Ein anderer Gedanke kam ihm in den Sinn. Er sah zu Ben auf. Dessen Jackenkragen war verrutscht und entblößte blutigen Schorf am Hals. »Ben, woher weißt du davon?«
    »Wovon?«
    »Lisas Piercing.«
    »Na, Lisa war doch im Club.«
    Eine Wolke schob sich vor die Sonne und tauchte das Waldstück ins Dunkel. Das Funkeln im Wasser erlosch. Sam überlegte, dann sagte er: »Aber du hast gesagt, du hast Lisa schon lange nicht mehr gesehen.«
    »Ja, doch, aber …«
    »Sie hat das Piercing erst vorige Woche machen lassen.«
    Bens Lächeln erstarb. Ein Windstoß fegte seine Haare beiseite. An seiner Schläfe schimmerte eine Beule dunkelrot. Plötzlich war es Sam kalt.
    »Ben?«, fragte er.
    Dieser erhob sich seufzend. »Du hättest auf deine Mutter hören sollen. Oder deinen Onkel. Du hättest nicht alleine in den Wald gehen sollen.«
    »Ben? Ben Jäger?«, ächzte Alex. Auch Paul stand der Schrecken ins Gesicht geschrieben. »Sie sagen, Ben … unser Ben … Ben ist Ihr Sohn?«
    »Er ist es«, beharrte die Kirchberger, während Tränen ihre Wangen herabströmten.
    Alex schüttelte den Kopf.
    »Sie … müssen sich irren«, sagte Paul. »Es sind mehr als … zwanzig Jahre vergangen. Wie wollen Sie sich da sicher sein?«
    »Glauben Sie, eine Mutter erkennt ihren Sohn nicht?« Mit einer Wendigkeit, die ihrem alten Körper nicht zuzutrauen war, stemmte sie sich empört aus dem Sessel. Sie stolperte in die Küche.
    Alex wollte ihr hinterher, doch der Klingelton von Pauls Handy ließ ihn innehalten. Sein Freund sah aufs blinkende Display. »Das ist Norman.« Er nahm das Gespräch entgegen, lauschte einige Sekunden. »Sie haben Lisa gefunden. Sie lebt.«
    Sofort griff Alex nach dem Telefon. »Norman, hat sie was über den Täter sagen können?«
    »Herrgott, Alex«, drang Normans verärgerte Stimme aus dem Hörer, »bist du das? Hast du den Verstand verloren? Hast du eine Ahnung, wie das jetzt …«
    »Ja, hab’ ich«, murrte Alex. »Sag mir lieber, was Lisa über den Täter gesagt hat!«
    »Soweit ich das mitbekommen habe, nichts, was dich entlastet. Du giltst nach wie vor als der Hauptverdächtige.«
    »Und wo ist …« Alex zögerte, weil die Kirchberger in die Stube kam. Ihrer Lunge entwich ein Pfeifen, als sie sich erneut in den Sessel fallen ließ. »Wo ist Ben?«
    »Das weißt du doch, bei seinem Seminar.«
    »Kannst du
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