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Die Macht der Disziplin

Die Macht der Disziplin

Titel: Die Macht der Disziplin
Autoren: Roy Baumeister
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abends nach der Arbeit über scheinbare Belanglosigkeiten stritten. Manchmal riet er ihnen, einfach früher Feierabend zu machen, obwohl das auf den ersten Blick sonderbar klang, denn das gab den Ehepartnern ja nur mehr Zeit zum Streit. Doch er nahm an, dass sie von ihremlangen Arbeitstag erschöpft sein müssten. Und wenn sie dann nach einem solchen langen, ermüdenden Arbeitstag nach Hause kamen, verfügten sie über keine Reserven mehr, um die ärgerlichen Angewohnheiten des Partners zu tolerieren, freundlich und verständnisvoll zu sein oder einfach nur den Mund zu halten, wenn der Partner etwas sagte, das eine gemeine oder sarkastische Antwort zu provozieren schien. Baucom erkannte, dass die Paare Feierabend machen mussten, solange sie noch einen Rest an Energie übrig hatten. Ehen gingen in die Brüche, wenn die Belastung am Arbeitsplatz am größten war: Die Partner ließen ihre gesamte Willenskraft am Arbeitsplatz. Im Büro verausgabten sie sich, und die Familie hatte darunter zu leiden.
    Nach dem Radieschen-Experiment machten Wissenschaftler in ähnlichen Versuchungen wieder und wieder dieselbe Beobachtung. Sie suchten nach komplexeren emotionalen Effekten und anderen Möglichkeiten, diese zu messen, etwa bei der Beobachtung der körperlichen Ausdauer. Eine dauerhafte sportliche Betätigung, zum Beispiel ein Marathonlauf, erfordert mehr als körperliche Fitness. Egal wie durchtrainiert Sie sind, irgendwann will Ihr Körper eine Pause einlegen und Ihr Kopf muss ihm sagen: »Lauf, lauf, lauf!« Genauso ist mehr als Körperkraft erforderlich, um einen Handmuskeltrainer zu drücken. Irgendwann ermüdet Ihre Hand und der Muskel schmerzt, aber Sie können sich mit schierer Willenskraft dazu bringen, trotzdem weiterzumachen – es sei denn, Ihr Gehirn ist zu sehr damit beschäftigt, andere Gefühle zu unterdrücken. Das wurde in Experimenten mit einem traurigen italienischen Film nachgewiesen.
    Bevor die Teilnehmer den Film sahen, erklärten ihnen die Wissenschaftler, sie würden während der Vorführung ihren Gesichtsausdruck filmen. Einige der Teilnehmer erhielten die Anweisung, ihre Gefühle zu unterdrücken und keinerlei Regung zu zeigen. Andere sollten ihre emotionalen Reaktionen verstärken, damit sie im Gesicht ablesbar waren. Und eine Kontrollgruppe durfte sich normal verhalten.
    Die Teilnehmer sahen einen Ausschnitt aus dem Dokumentarfilm
Mondo Cane
, der die Auswirkungen von Atommüll auf Tiere in derNatur zeigt. In einer bewegenden Szene verlieren Meeresschildkröten die Orientierung, kriechen in die Wüste und verenden dort kläglich, weil sie den Weg zum Wasser nicht mehr finden. Der Film drückt kräftig auf die Tränendrüse, aber nicht alle durften weinen. Einige starrten wie verlangt stoisch auf die Leinwand, andere weinten, was das Zeug hielt. Danach mussten alle Teilnehmer den Ausdauertest mit dem Handmuskeltrainer machen.
    Auf die Kontrollgruppe hatte der Film offenbar keinen Einfluss: Die Probanden drückten den Muskeltrainer genauso lange wie in einem Vergleichstest, den sie vor dem Film absolviert hatten. Aber die beiden anderen Gruppen gaben früher auf, egal ob sie ihre Gefühle unterdrückt oder verstärkt hatten. In beiden Fällen hatte die Kontrolle der emotionalen Reaktionen offenbar ihre Willenskraft erschöpft.
    Ähnliches zeigt eine klassische Denkaufgabe: der weiße Bär. Die Geschichte geht auf eine Anekdote zurück, nach der Tolstoi – in anderen Versionen war es Dostojewski – mit seinem Bruder wettete, dass er keine fünf Minuten durchhalte, ohne an einen Eisbären zu denken. Der Bruder musste zahlen und machte obendrein eine beunruhigende Entdeckung hinsichtlich der geistigen Fähigkeiten des Menschen. Wir meinen, in der Lage zu sein, unsere Gedanken zu steuern, aber das sind wir nicht. Menschen, die zum ersten Mal meditieren, sind schockiert, wie ihre Gedanken in der Weltgeschichte herumschweifen, obwohl sie alles tun, um sich zu konzentrieren und an nichts zu denken. Der Psychologe Dan Wegner kürte den Eisbären zu seinem Maskottchen und zeigte, dass wir bestenfalls eingeschränkte Kontrolle über unsere Gedanken besitzen. Wegner bat Versuchsteilnehmer, eine Klingel zu betätigen, jedes Mal wenn der Eisbär 26 durch ihre Gedanken streunte. Mit Tricks und Ablenkungsmanövern ließ sich das Tier eine Weile lang in Schach halten, aber irgendwann klingelte jeder der Teilnehmer.
    Vielleicht fragen Sie sich, wozu diese Experimente gut sein sollen. Die Menschheit leidet unter
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