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Die Macht der Disziplin

Die Macht der Disziplin

Titel: Die Macht der Disziplin
Autoren: Roy Baumeister
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vielen Psychosen und Traumata, aber »unerwünschte Eisbärengedanken« gehören eher nicht dazu.Doch gerade weil das Experiment zu weit von unserem Alltag entfernt scheint, ist es für Wissenschaftler besonders interessant. Wenn wir wissen wollen, wie gut oder schlecht wir unsere Gedanken beherrschen, scheinen sich ungewöhnliche Gedanken besser zu eignen. Als einer von Wegners Assistenten das Experiment abwandelte und Studenten aufforderte, nicht an ihre Mütter zu denken, scheiterte es – und demonstrierte lediglich, dass Studenten erstaunliche Übung darin haben, nicht an ihre Mütter zu denken.
    Aber worin unterscheiden sich Mütter von Eisbären? Vielleicht versuchen die Studenten, sich emotional von ihren Eltern zu lösen. Vielleicht wollen sie oft Dinge tun, die ihre Mütter nicht gutheißen würden, weshalb sie den Gedanken an ihre Mutter abschalten müssen. Oder vielleicht wollen sie ihre Schuldgefühle unterdrücken, weil sie ihre Mütter nicht so oft anrufen, wie diese es sich wünschen würden. Interessanterweise haben diese Unterschiede zwischen Müttern und Eisbären sämtlich mit den Müttern zu tun. Und genau das ist aus Sicht der Wissenschaftler das Problem. Mütter eignen sich nicht als Gegenstand solcher Forschungsexperimente, da sie mit zu viel Ballast verbunden sind, mit zu vielen mentalen und emotionalen Assoziationen. Es kann viele Gründe geben, warum Sie an Ihre Mutter denken oder auch nicht. Eisbären spielen dagegen im Alltag und in der Biografie der wenigsten Menschen eine Rolle, und wenn wir Probleme damit haben, Gedanken an sie zu unterdrücken, dann lässt sich eine ganze Menge daraus ableiten.
    Genau deshalb haben Psychologen, die sich mit der Gedankenkontrolle beschäftigen, Gefallen an den Eisbären gefunden. Nachdem Versuchspersonen fünf Minuten lang alles taten, um nicht an die Tiere zu denken, bewiesen sie, wie zu erwarten, weniger Ausdauer bei der Lösung von weiteren Aufgaben als andere, die sich nicht mit Bären herumschlagen mussten. Es fiel ihnen außerdem weitaus schwerer, in einem etwas gemeinerem Experiment ihre Gefühle im Zaum zu halten: Sie sollten sich einen Sketch aus der TV-Comedy-Sendung
Saturday Night Live
ansehen und dabei keine Miene verziehen. Die Wissenschaftlerfilmten die Mimik der Testpersonen und stellten fest, dass die Bärenbändiger eher kichern oder zumindest grinsen mussten.
    Denken Sie daran, wenn Sie einen Chef haben, der zu dummen Vorschlägen neigt. Um in der nächsten Arbeitssitzung nicht grinsen zu müssen, unterlassen Sie vorher jede geistige Anstrengung. Entspannen Sie sich. Und denken Sie so oft an Eisbären, wie Sie wollen.
    Die wandelbare Kraft
    Nachdem Experimente die Existenz der Willenskraft nachgewiesen hatten, standen Psychologen vor einer Reihe von neuen Fragen. Was genau war diese Willenskraft? Welche Teile des Gehirns waren daran beteiligt? Was genau passierte in den neuronalen Schaltkreisen? War die Willenskraft mit weiteren physischen Veränderungen verbunden? Wie fühlte es sich an, wenn sie schwächer wurde?
    Eine erste Frage lautete, wie man das Phänomen benennen sollte – wenn möglich etwas präziser als »wandelbare Kraft«, »Willensschwäche« oder »der Teufel hat mich geritten«. Ein Blick in die neuere wissenschaftliche Literatur half nicht weiter. Baumeister musste zu Freud zurückkehren, wo er ein Modell des Ich fand, das auf Energie beruhte. Wie so oft waren Freuds Erkenntnisse erstaunlich weitsichtig und gleichzeitig erstaunlich falsch. Er hatte die Theorie aufgestellt, dass wir über einen Prozess namens »Sublimierung« die Energie unserer Instinkte in gesellschaftlich annehmbarere Formen bringen. Laut dieser Theorie kanalisierten beispielsweise Schriftsteller oder Maler ihre sexuelle Energie in ihrem künstlerischen Schaffen. Das war ein kluger Gedanke, doch die Psychologen des 20. Jahrhunderts verwarfen die Vorstellung der Energie genauso wie die der Sublimierung. 27 Als Baumeister und seine Kollegen die Forschungsliteratur auf Reaktionen zu Freud durchforsteten, stellten sie fest, dass die Theorie der Sublimierung von allen am schlechtesten wegkam. Es gab keine Beweise für ihre Existenz und viele Gründe anzunehmen, dass das genaue Gegenteilder Fall war. Träfe die Theorie der Sublimierung zu, dann würden die Bewohner von Künstlerkolonien ihre gesamten sexuellen Triebe in ihre Malerei investieren und ein mönchisches Leben führen. Aber haben Sie schon einmal von einer keuschen Künstlerkolonie
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