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Die Luft, die du atmest

Die Luft, die du atmest

Titel: Die Luft, die du atmest
Autoren: Carla Buckley
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Jäger sind schon nervös genug, da kann ich ihnen nicht noch einen Zwanzigjährigen zumuten.»
    «Wegen der Vogelgrippe?»
    «Genau.»
    «Glaubst du, du wirst was finden?»
    Er rutschte auf seinem Sitz zurück.
    «Wahrscheinlich. Aber das Problem sind nicht die Einzelfälle.»
    «Sondern dass sie sich häufen.»
    «Richtig.»
    Der Habicht wurde kleiner und kleiner, bis er allmählich ganz verschwand. Sie wechselte das Thema. «Ich hab vergessen, es dir zu sagen, weil Freitag alles so schnell ging, aber ich bin zu dem Bewerbungsgespräch eingeladen.»
    «In Maddies Schule?»
    Sie nickte. «Nächste Woche habe ich einen Termin mit dem Rektor. Ich denke ständig: Was ist, wenn ich die Stelle nicht kriege? Und dann wieder: Was ist, wenn ich sie kriege?»
    «Du wirst das super machen.»
    «Ich habe seit, mein Gott, zwölf Jahren nicht mehr unterrichtet.»
    «Was soll schon sein?»
    Sie blitzte ihn böse an, aber er blickte weiter geradeaus. «Es geht ja nicht nur um Fingerfarben und Holzstöckchen, Peter.»
    «Ich wollte bloß sagen, dass ich weiß, dass du es kannst.»
    «Es geht um Kunstgeschichte und Theorie. Was ist, wenn ich über ihre Köpfe hinwegrede? Oder wenn ich sie langweile? Oder wenn Maddie was dagegen hat, dass ich ihre Lehrerin bin?»
    «Aber du freust dich doch auch darauf.»
    Wollte sie überhaupt darüber reden? «Es ist   … die Sache im Ganzen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es überhaupt noch kann.»
    «Malen, meinst du?»
    «Genau.»
    Er seufzte tief. Sie hörte Ungeduld heraus. «Du hast lange nichts gemalt», sagte er.
    Neun Jahre. Eine Ewigkeit. Ein Lidschlag.
    «Vielleicht bist du jetzt wieder so weit, Ann.»
    «Mit anderen Worten, ich sollte endlich wieder so weit sein.»
    Er nahm kurz beide Hände vom Lenkrad.
Ich gebe auf.
«Wie du meinst.»
    Die Hügel zogen an ihnen vorbei, feuerrote und rostbraune Wälder. Auf den Höhen hier und da abgeschiedene Scheunen und Häuser. Sie fragte sich, ob die Leute, die dort wohnten, einsam waren.
    «Es würde dir guttun, wieder zu arbeiten», sagte Peter. «Neu anzufangen.»
    Sie nickte, war aber mit den Gedanken woanders. Sie brauchten das zweite Einkommen. In ein paar Jahren würden sie die Mädchen durchs College bringen müssen. Auch sonst war alles furchtbar teuer geworden, vor allem das Benzin. Ihren Minivan vollzutanken kostete genauso viel wie ein Kinoabend mit Essengehen für die ganze Familie.
    «Eigentlich   –», er räusperte sich, «wäre es für uns beide gut, nochmal neu anzufangen.»
    Sie sah ihn an, beunruhigt durch den seltsamen Ton in seiner Stimme. «Okay.»
    «Nein, Ann. Es ist schon lange nicht mehr okay.»
    «Was heißt das? Wovon redest du?» Aber sie wusste, wovoner sprach. Der stille Herbsttag hatte auf einmal etwas Bedrohliches. Als würde gleich ein Unglück passieren.
    «Ich glaube, wir sollten uns eine Weile trennen.»
    Sie starrte ihn von der Seite an, sprachlos, ihr Herz raste. Plötzlich saß da ein Fremder neben ihr. Sie schob den Gurt weg, um sich ihm besser zuwenden zu können. «Das meinst du nicht ernst.»
    «Doch, Ann.»
    «Ich dachte, zwischen uns wäre alles okay. Nicht gut, aber   … besser.» Vielleicht hatte das Wochenende ihm den Rest gegeben. Dachte er schon länger darüber nach? Wieso hatte sie nichts gemerkt? Wie dumm von ihr, einfach vor sich hin zu leben, ungeschickt und selbstbezogen wie immer. Sie hatte nicht genug Anteil am Tod seines Vaters genommen. Vielleicht hätte sie mehr Mitgefühl zeigen sollen, aber sie hatte seinen Vater nie wirklich gemocht.
    «Dad war zweiundsechzig. Zweiundsechzig.» Peter umklammerte das Lenkrad so fest, dass seine Knöchel weiß wurden. «Er hat so vieles in seinem Leben nicht getan. So viele Dinge immer wieder aufgeschoben. Er wollte nach Gettysburg und zum Vietnam-Denkmal in Washington. Er wollte das Baumhaus für unsere Töchter fertigbauen. Und jetzt   …» Er lehnte sich zurück und stieß die Luft aus. «Ich will nicht wie mein Vater sein. Ich will nicht so ein Leben führen wie er.»
    Sie legte eine Hand auf seinen Arm, spürte die Wärme seiner Haut. «Aber   … das tust du doch gar nicht.»
    Er schüttelte den Kopf. «Ich bin genau wie er. Ich rühre mich nicht vom Fleck und sehe zu, wie das Leben vorübergeht.»
    «Das klingt nach Midlifecrisis.»
    Er sah sie an. «Wenn’s das nur wäre, Ann.» Sein Blick war zärtlich. «Seitdem unser Baby   –»
    «Nicht», sagte sie und zog ihre Hand wieder weg. Nie würde sie vergessen, wie sie in das
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