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Die Luft, die du atmest

Die Luft, die du atmest

Titel: Die Luft, die du atmest
Autoren: Carla Buckley
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einmal.
    «Ich will rein.»
    «Kann ich spielen, solange wir warten?»
    Maddie, Hannah, Jodi

    «Ist das Rauch?»
    «Quatsch.»
    «Doch, da. Siehst du? Aus dem Fenster dahinten.»
    Kristen, Michael, Foster, Stephanie
… Moment mal. Wo war Heyjin? Ann ließ den Blick über den Spielplatz schweifen und hielt nach dem zierlichen kleinen Mädchen mit dem knallroten Sweatshirt Ausschau. «Hat einer von euch Heyjin gesehen?»
    Maddie schüttelte den Kopf, und Jodi sagte: «Die ist dringeblieben.»
    Das konnte nicht sein. Ann hatte sie selbst in die Reihe gestellt.
    Jodi zuckte die Achseln. «Sie kommt
nie
mit raus.»
    «Das stimmt, Mom», sagte Maddie. «Heyjin mag nicht auf den Spielplatz.»
    Einen Augenblick starrte Ann Maddie an. Dann wandte sie sich an ihre Kollegin: «Würden Sie einen Moment auf meine Klasse aufpassen?»
    Der einzige Weg zurück ins Gebäude führte durch den Haupteingang. Die rote Flügeltür stand weit offen. Die Sirene heulte unaufhörlich, und an den Decken blinkten rote Alarmlichter. Auf dem Gang war niemand. Die Verwaltungsbüros waren geräumt, alle Klassenzimmer verlassen.
    Aus dem hinteren Korridor quoll grauer Qualm. Mit schnellen Schritten eilte Ann in die entgegengesetzte Richtung zum Kunstraum. Alles war, wie sie es verlassen hatten. Die Blätter lagen auf den Tischen verstreut, die Stühle standen kreuz und quer im Raum verteilt. Heyjin war nirgends zu sehen. Hatte Jodi sich getäuscht? Nein. Maddie hatte es ja bestätigt.
    Die Materialkammer. Sie riss die Tür auf, und dort saß das kleine Mädchen zusammengekrümmt auf dem Boden, dieArme um die Knie geschlungen. Erleichtert atmete sie auf. «Heyjin!»
    Das Kind sah sie an. Seine Wangen waren tränenverschmiert. Einer seiner Zöpfe hatte sich gelöst, und die Haare fielen ihm lang und glänzend über die Schultern.
    Ann trat in die Kammer und nahm das zitternde Kind in die Arme. «Gott sei Dank, Heyjin. Komm mit. Wir müssen hier raus.»
    Heyjin schüttelte so vehement den Kopf, dass sich auch der zweite Zopf löste.
    In der Ferne hörte Ann eine Feuerwehrsirene. «Ich trage dich.»
    Das Mädchen drückte sich tiefer in die Ecke. «Ich nicht gehen.»
    Sie sprach also doch Englisch. Die Sirene wurde lauter. Bunte Lichtstreifen fuhren über die Decke des Klassenraums. «Heyjin, wir gehen jetzt, und zwar sofort.» Entschlossen nahm sie das Kind auf den Arm.
    Heyjin versuchte sich ihr zu entwinden. «Nein, nein.»
    «Es muss sein, Kleines. Keine Angst.» Sie rannte so schnell durch den Flur, dass Heyjin in ihren Armen auf und ab wippte.
    Maddie war bestimmt außer sich vor Sorge, weil die Feuerwehr schon da war und ihre Mutter sich noch im Gebäude befand.
    Sie hatten es fast geschafft. Es roch nach Rauch. Heyjin schluchzte und wand sich in ihren Armen. Vermummte Feuerwehrleute erschienen im Eingang. Sie schleppten einen langen Schlauch hinter sich her. Ihre maskierten Gesichter wandten sich ihr zu, als sie mit der schreienden Heyjin an ihnen vorbei aus der Tür eilte.
    Draußen ließ sie sich auf eine Bank fallen. Am liebsten hättesie das Kind geschüttelt. Was in aller Welt trieb sie dazu, sich so zu verhalten? Sie setzte das Mädchen neben sich und nahm sie bei den Schultern. «Heyjin, was ist denn bloß mit dir los?»
    «Mein Papa tot.» Sie sagte es mit leiser Stimme.
    Ann stockte der Atem. Das hatte sie nicht gewusst. Warum stand es nicht in ihrer Akte? Warum hatte ihr keiner etwas von Heyjins Problemen gesagt? «Kleines, das tut mir so leid.»
    Heyjin hob das Kinn und sah Ann an. Eine ganze Weile, als suchte sie irgendetwas. Dann sagte sie: «Erst wurden Hühner krank. Dann mein Papa.»
    Seltsam, in diesem Schulbezirk gab es keine Hausgeflügelzucht. Doch dann verstand Ann. «In Korea?»
    Heyjin nickte.
    Korea. Mehrfach war dort Vogelgrippe ausgebrochen und kaum wieder einzudämmen gewesen. Millionen Hühner waren geschlachtet worden. An die hundert Menschen waren gestorben. Einer von ihnen musste der Vater dieses kleinen Mädchens gewesen sein. Ann umschlang sie fest. «Hier bist du sicher. Das verspreche ich dir. Dir kann nichts passieren.»
    Kurz darauf spürte sie, wie sich die Arme des Mädchens um ihren Hals legten. Ann hielt sie fest, spürte ihr weiches Haar im Gesicht und schaukelte sie sanft hin und her. Sie konnte sich nicht vorstellen, was Heyjin in Korea durchgemacht haben mochte. Es war ein Wunder, dass sie der Gefahr entkommen war.
    Es war ein Wunder, dass man sie ins Land gelassen hatte.
    Heyjin flüsterte ihr
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