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Kuessen kann schon mal passieren

Kuessen kann schon mal passieren

Titel: Kuessen kann schon mal passieren
Autoren: Susanne Fuelscher
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1.
    Luca kam an einem sonnigen Tag im März in unsere Klasse. Ihn nicht zu bemerken oder gleich in einer Datei mit der Aufschrift unwichtig abzuspeichern war unmöglich. Ebenso gut hätte ich versuchen können meine blonden Spaghettihaare in dunkle Locken zu verwandeln, Jade in eine Giftnatter oder die Erde in einen Erdnusskeks. Luca war Halbitaliener und weder zu übersehen noch zu überhören. Er hatte tubenweise Gel im Haar, trug ein pastellfarbenes Polohemd mit hochgeklapptem Kragen und redete dröhnend, wobei er alle paar Sekunden lachte. Wie von einem inneren Meldezwang besessen zeigte er ständig im Unterricht auf, und wenn er drankam, schwafelte er ohne Punkt und Komma. Das war einerseits gut, weil uns anderen weniger Zeit blieb, uns zu blamieren, andererseits nervte es, ihm dauernd zuhören zu müssen. Keine Ähs kamen über seine Lippen, er sprach, als hätte jemand seine Gedanken vorsortiert und in druckreife Sätze gebracht. Ein Typ zum Abgewöhnen. Lackaffe. Angeber. Wahrscheinlich auch noch ein Streber. Zu allem Überfluss hatte unsere Klassenlehrerin Frau Gabowski den Jungen mit der schnieken Notebooktasche ausgerechnet hinter mich gesetzt. Ich wusste nicht mal genau, warum, aber ich fühlte mich belauert und konnte das neunmalkluge Gequatsche in meinem Rücken kaum ertragen.
    Â»Findest du eigentlich, dass er gut aussieht?«, fragte mich Jade wenige Tage nach Lucas Ankunft in der großen Pause. Während sich unsere Klassenkameraden in jeder freien Minute neugierig um Luca scharten, wohl um herauszubekommen, was ein Halbitaliener, der bisher an der Adria gelebt hatte, in unserer langweiligen norddeutschen Kleinstadt machte, flüchteten Jade und ich lieber auf den Schulhof, hielten unsere Nasen in die Märzsonne und sahen den Schneeresten beim Schmelzen zu.
    Â»Mittel.«
    Â»Mittelgut oder mittelschlecht?«
    Â»Keine Ahnung.« Irgendwie war mir der Typ so egal, dass ich nicht mal Lust hatte, auch nur einen Gedanken an sein Äußeres zu verschwenden. »Und du?«
    Â»Er hat ein schönes Lächeln und Nutella-Augen«, erklärte Jade mit Blick auf ihre Schneeboots. Es war bloß eine Frage von Tagen, bis sie sie gegen ihre geliebten Chucks austauschen würde.
    Â»Schönes Lächeln, von wegen … Seine Beißer sind doch bestimmt implantierte Kunstzähne«, lästerte ich. »Haben ihm seine superreichen Eltern spendiert.«
    Jade prustete los. »Und zur Strafe, weil er damit angibt, wächst er nur in Zeitlupe.«
    Â»Vielleicht bleibt er auch bis zu seinem Lebensende ein Zwerg«, setzte ich noch eins drauf. »Ein Zwerg in Lackaffenklamotten und mit Notebooktasche.«
    Wir lachten, was im Grunde ziemlich gehässig war – schließlich konnte der Neue nichts für seine Körpergröße –, dann hechelten wir weitere optische Details durch, bis uns bewusst wurde, was wir da eigentlich taten. Wir vergeudeten kostbare Lebenszeit damit, uns über einen total unwichtigen Typen auszulassen. So gesehen unterschieden wir uns kein bisschen von unseren Klassenkameraden mit ihrem Luca-hier-Luca-da-Getue.
    Also schwenkten wir auf wichtigere Themen um. Jade erzählte, dass sie und ihre Tierschutzorganisation Bloody-Girls, die lediglich aus ihr selbst und zwei weiteren Mädchen aus der Parallelklasse bestand, eine Antipelzmantel-Kampagne plante. Sie wollten sich mit Theaterblut beschmierte Transparente umhängen und damit vom Schloss über den Marktplatz bis zur Fußgängerzone ziehen.
    Â»Findest du das nicht ein bisschen übertrieben?«, fragte ich. »Wer trägt in unserem Kaff schon Pelzmäntel?«
    Â»Die Omas?«, verteidigte sich Jade.
    Â»Und von denen verlangst du, dass sie ihre Nerze, die sie anno dazumal gekauft haben, wegschmeißen? Mann, Jade! Davon werden die süßen Tierchen auch nicht wieder lebendig.«
    Meine Freundin wickelte ihr Brot aus, das mit einer stinkenden vegetarischen Paste bestrichen war. »Ich weiß auch, dass die Omas keine Gangster sind. Es geht doch bloß darum, das Bewusstsein der Leute zu schärfen.«
    Â»Okay, dann schärf mal«, erwiderte ich matt. Ich fand, dass meine Freundin es mit ihrem Engagement bisweilen ziemlich übertrieb. Sie guckte mich ja schon schief von der Seite an, sobald nur ein Fitzelchen Wurst aus meinem Schulbrot hervorlugte, ereiferte sich, wenn ich mich von Mama mit dem Auto zur
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