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Die Loge

Die Loge

Titel: Die Loge
Autoren: Daniel Silva
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Patris et Filii et Spiritus Sancti. Amen.«
    Der Professor blickte noch einmal in die Augen seines Mörders. »Aber ich bin Jude«, murmelte er.
    »Macht nichts«, antwortete der Killer.
    Dann setzte er die Stetschkin an Benjamin Sterns Schläfe und drückte ein letztes Mal ab.

2
    V ATIKANSTADT
    Zwölfhundert Kilometer weiter südlich, auf einem Hügel im Herzen Roms, machte ein alter Mann, der zu einer elfenbeinfarbenen Soutane einen Umhang in gleicher Farbe trug, einen Spaziergang durch den kühlen Schatten eines von Mauern umgebenen Gartens. Obwohl er mit seinen zweiundsiebzig Jahren nicht mehr gut zu Fuß war, kam er trotzdem jeden Vormittag in den Park und achtete darauf, mindestens eine Stunde lang im Pinienduft auf den Wegen spazierenzugehen. Einige seiner Vorgänger hatten stets den Garten räumen lassen, um ungestört meditieren zu können. Der Mann in der elfenbeinfarbenen Soutane sah gern Menschen – richtige Menschen, nicht nur die schmeichlerischen Kurienkardinäle und ausländischen Würdenträger, die jeden Tag kamen, um seinen Fischerring zu küssen. Ein Schweizergardist folgte ihm stets mit einigen Schritten Abstand – mehr um ihm Gesellschaft zu leisten als zu seinem Schutz –, und er blieb gern einmal stehen, um kurz mit den Vatikangärtnern zu plaudern. Er war ein von Natur aus wißbegieriger Mann und hielt sich für keinen schlechten Botaniker. Manchmal ließ er sich eine Gartenschere geben und half mit beim Beschneiden der Rosen. Einmal hatte ihn ein Schweizergardist im Garten auf Knien und Händen erblickt. Der Mann hatte das Schlimmste vermutet und einen Krankenwagen gerufen, bevor er ihm zu Hilfe geeilt war, nur um dann feststellen zu müssen, daß der Pontifex Maximus der römisch-katholischen Kirche beschlossen hatte, eigenhändig etwas Unkraut zu jäten.
    Die Vertrauten des Heiligen Vaters konnten sehen, daß ihn etwas bedrückte. Viel hatte er von der guten Laune und dem ungezwungenen Charme eingebüßt, die allen nach dem tristen letzten Lebensabschnitt des Polen wie eine Frühlingsbrise vorgekommen waren. Schwester Teresa, der resoluten Nonne aus Venedig, die den päpstlichen Haushalt führte, war ein deutlicher Appetitverlust aufgefallen. Sogar die süßen biscotti, die sie ihm zum Nachmittagskaffee hinstellte, blieben in letzter Zeit unberührt. Betrat sie das Arbeitszimmer des Papstes im zweiten Stock des Vatikans, fand sie ihn oft auf dem Fußboden ausgestreckt, tief ins Gebet versunken, die Augen fest zusammengekniffen, als leide er Schmerzen. Karl Brunner, der Kommandant seiner Schweizergarde, hatte bemerkt, daß der Heilige Vater oft auf der Vatikanmauer stand und in Gedanken versunken über den Tiber hinüberstarrte. Brunner, der den Polen viele Jahre lang beschützt hatte, wußte aus eigener Anschauung, welchen Tribut das Pontifikat von ihm gefordert hatte. Das gehöre zu diesem Amt, erklärte er Schwester Teresa, zur erdrückenden Last der Verantwortung, die jeder Papst zu tragen habe. »Sie reicht aus, um selbst den heiligsten Mann von Zeit zu Zeit mißlaunig zu machen. Ich bin sicher, daß Gott ihm die Kraft geben wird, das zu überwinden. Sie werden sehen, unser Pietro ist bald wieder der alte.«
    Schwester Teresa war sich da nicht so sicher. Sie gehörte zu der Handvoll Menschen im Vatikan, die wußten, daß Pietro Lucchesi dieses Amt nicht angestrebt hatte. Als der zierliche, zurückhaltende Patriarch von Venedig in Rom eingetroffen war, um an der Beisetzung Papst Johannes Pauls II. und dem Konklave teilzunehmen, das seinen Nachfolger wählen würde, hatte er nicht im geringsten als papabile gegolten – als ein Kirchenfürst, der die für einen Papst nötigen Eigenschaften besaß. Und er hatte nicht einmal andeutungsweise Interesse für dieses Amt erkennen lassen. Die fünfzehn Jahre, die er in der römischen Kurie verbracht hatte, waren die unglücklichsten seiner Laufbahn gewesen, und er hatte sicherlich nicht den Wunsch, in das schmähsüchtige Dorf am Tiber zurückzukehren, auch nicht als sein Bürgermeister. Lucchesi hatte vorgehabt, für den Kardinal von Buenos Aires zu stimmen, mit dem er auf einer Südamerikareise Freundschaft geschlossen hatte, und still nach Venedig heimzukehren.
    Aber beim Konklave waren die Dinge nicht nach Plan gelaufen. So wie es ihre Vorgänger im Lauf der Jahrhunderte immer wieder getan hatten, zogen Lucchesi und die anderen Kirchenfürsten, hundertdreißig an der Zahl, feierlich in die Sixtinische Kapelle ein, wobei sie den
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