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Die Loge

Die Loge

Titel: Die Loge
Autoren: Daniel Silva
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Schachzug erfolgreich, würde er die Kirche revolutionieren. Schlug er fehl, konnte er sie vernichten.
    Die Sonne verschwand hinter einer Wolkenbank, und ein Stoß des kalten Märzwindes bewegte die Pinien im Garten. Der Papst zog seinen Umhang am Hals enger zu. Er ging am Äthiopischen Kolleg vorbei und bog dann in einen schmalen Fußweg ein, der ihn zu der graubraunen Mauer in der Nordwestecke der Vatikanstadt führte. Kurz blieb er am Fuß des Sendemasts von Radio Vatikan stehen, dann stieg er eine Steintreppe zur Mauerkrone empor.
    Rom lag vor ihm, dehnte sich im blassen Sonnenschein unter Schleierwolken bis zum Horizont. Ein Bauwerk jenseits des Tibers zog Lucchesis Blick auf sich: die hochaufragende Synagoge im Herzen des ehemaligen Ghettos. Im Jahr 1555 hatte Papst Paul IV., dessen Namen nun auch Lucchesi trug, die römischen Juden ins Ghetto verbannt und sie gezwungen, als Unterscheidungsmerkmal einen gelben Stern zu tragen. Die Bauherrn der Synagoge hatten diese damals bewußt so hoch erbauen lassen, damit sie vom Vatikan aus zu sehen war. Ihre Botschaft war unmißverständlich: Auch wir sind hier. Im Grunde waren wir lange vor euch hier. Für Pietro Lucchesi kündete die Synagoge noch von etwas anderem. Von einer verräterischen Vergangenheit. Von einem schändlichen Geheimnis. Sie sprach direkt zu ihm, flüsterte ihm ins Ohr. Sie ließ ihm keine Ruhe.
    Der Papst hörte Schritte auf dem Fußweg, flink und rhythmisch, so wie ein erfahrener Zimmermann Nägel einschlägt. Er drehte sich um und sah einen Mann auf die Mauer zumarschieren. Groß und schlank, schwarzes Haar, schwarzer Anzug mit Priesterkragen – ein mit Chinatusche gezogener senkrechter Strich. Monsignore Luigi Donati, sein Privatsekretär. Donati arbeitete seit zwanzig Jahren an Lucchesis Seite. In Venedig war er wegen der Bereitschaft, seine Macht rücksichtslos einzusetzen und seinen Gegnern an die Kehle zu gehen, wenn es seinen Zwecken oder denen seines Herrn diente, il doge genannt worden. Diesen Spitznamen trug er nun auch im Vatikan. Donati störte das nicht. Er war ein Anhänger des weltlichen italienischen Philosophen Machiavelli, der festgestellt hatte, daß es für einen Fürsten besser sei, gefürchtet als geliebt zu werden. Jeder Papst brauche einen Schergen, behauptete Donati: einen harten Mann in Schwarz, der bereit war, der Kurie wie ein Dompteur mit einem Stuhl und einer Peitsche gegenüberzutreten und ihr seinen Willen aufzuzwingen. Das war eine Rolle, die er mit kaum verhehltem Vergnügen spielte.
    Als Donati näher kam, sah der Papst an seinem grimmig vorgereckten Unterkiefer, daß irgend etwas nicht in Ordnung war. Er blickte wieder über den Fluß hinaus und wartete. Einen Augenblick später fühlte er die beruhigende Gegenwart Donatis an seiner Seite. Il doge verschwendete wie üblich keine Zeit für Nettigkeiten oder Konversation. Er näherte sich dem Ohr des Papsts und teilte ihm leise mit, Professor Benjamin Stern sei heute vormittag ermordet in seiner Münchner Wohnung aufgefunden worden. Der Papst schloß die Augen und ließ das Kinn auf die Brust sinken; dann ergriff er Monsignore Donatis Hand und hielt sie umklammert. »Wie?« fragte er. »Wie haben sie ihn ermordet?«
    Als Donati es ihm sagte, schwankte der Papst und stützte sich haltsuchend auf den Arm des Geistlichen. »Allmächtiger Gott im Himmel, ich bitte dich, vergib uns, was wir getan haben.« Dann sah er seinem getreuen Privatsekretär in die Augen. Monsignore Donatis Blick war ruhig und intelligent und sehr entschlossen. Er verlieh dem Papst den Mut fortzufahren.
    »Ich fürchte, wir haben unsere Feinde maßlos unterschätzt, Luigi. Sie sind mächtiger, als wir dachten, und ihre Niedertracht kennt keine Grenzen. Um ihre schmutzigen Geheimnisse zu bewahren, schrecken sie vor nichts zurück.«
    »Allerdings, Euer Heiligkeit«, erwiderte Donati ernst. »Wir müssen nun sogar davon ausgehen, daß sie nicht einmal davor zurückschrecken könnten, einen Papst zu ermorden.«
    Einen Papst ermorden? Pietro Lucchesi hatte Mühe, sich so etwas vorzustellen, aber er wußte, daß sein Sekretär nicht gerade zu Übertreibungen neigte. Die Kirche war von einem Krebsgeschwür befallen. Während der langen Regentschaft des Polen hatte es ungehindert weiterschwären können. Jetzt hatte es Metastasen gebildet und bedrohte das Leben seines Wirts. Wollte der Patient noch gerettet werden, waren aggressive Maßnahmen erforderlich.
    Der Papst wandte sich von Donati ab und sah
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