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Die Loge

Die Loge

Titel: Die Loge
Autoren: Daniel Silva
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zur Kuppel der am Tiberufer aufragenden Synagoge hinüber. »Außer mir gibt es niemanden, der diese Tat vollbringen kann, fürchte ich.«
    Monsignore Donati legte eine Hand auf den Unterarm des Papstes und drückte ihn leicht. »Nur Ihr könnt die rechten Worte finden, Euer Heiligkeit. Überlaßt den Rest mir.«
    Donati machte kehrt und ließ den Papst allein auf der Mauerkrone zurück. Er horchte auf das Geräusch der Schritte, mit denen sein harter Mann in Schwarz auf dem Fußweg zum Palast zurückstampfte: krack-krack-krack-krack … In Pietro Lucchesis Ohren klangen sie wie Nägel, die in einen Sarg geschlagen werden.

3
    V ENEDIG
    Nächtliche Regenfälle hatten den Campo San Zaccaria überflutet. Der Restaurator stand wie ein Schiffbrüchiger auf den Stufen vor der Kirche. Mitten auf dem Platz tauchte ein alter Geistlicher aus dem Nebel auf. Als er seine schlichte schwarze Soutane hochzog, wurden darunter kniehohe Gummistiefel sichtbar. »Heute morgen sieht's hier wie auf dem See Genezareth aus, Mario«, sagte er, während er einen schweren Schlüsselbund aus der Tasche fischte. »Hätte Christus uns nur die Gabe verliehen, übers Wasser zu wandeln. Dann wären die venezianischen Winter viel leichter zu ertragen.«
    Die schwere Holztür öffnete sich mit lautem Ächzen. Das Kirchenschiff lag noch im Dunkeln. Der Priester machte Licht und ging wieder auf den überfluteten Platz hinaus, nachdem er kurz vor dem Altarraum stehengeblieben war und anschließend seine Finger ins Weihwasserbecken getaucht und sich bekreuzigt hatte.
    Das Stahlgerüst war mit Planen abgedeckt. Der Restaurator stieg zu seiner Arbeitsplattform hinauf und knipste eine Leuchtstofflampe an. Die Jungfrau Maria strahlte verführerisch. Den größten Teil dieses Winters hatte er in dem unbeirrbaren Bemühen zugebracht, ihr Gesicht zu restaurieren. In manchen Nächten erschien sie ihm sogar im Traum, schlich sich mit zerfetzten Wangen in sein Schlafzimmer und flehte ihn an, sie zu heilen.
    Er schaltete den elektrischen Heizlüfter an, um es etwas wärmer zu haben, und goß sich aus einer Thermoskanne schwarzen Kaffee in einen Becher – genug, um wach zu werden, aber nicht so viel, daß seine Hand davon zitterte. Dann bereitete er seine Palette vor, indem er Pigmente mit etwas Bindemittel anmischte. Als er endlich mit den Vorarbeiten fertig war, zog er seine Vergrößerungsbrille herunter und begann zu arbeiten.
    Fast eine Stunde lang hatte er die Kirche für sich allein. Die übrigen Mitglieder des Teams trafen erst nach und nach ein. Der hinter seinen Planen versteckte Restaurator erkannte jeden nur den Geräuschen nach. Den schwerfälligen Schritt von Francesco Tiepolo, der das Projekt San Zaccaria leitete; das muntere Klappern der hohen Absätze von Adriana Zinetti, ebenso berühmt als Reinigerin von Altären wie als Verführerin von Männern; das verschwörerische Schleichen des tolpatschigen Antonio Politi, der nichts lieber tat, als Lügen und boshaften Klatsch zu verbreiten.
    Für die anderen Mitglieder des San-Zaccaria-Teams war der Restaurator eine etwas rätselhafte Gestalt. Er bestand darauf, seine Arbeitsplattform und das Altarbild ständig verhängt zu lassen. Francesco Tiepolo hatte ihn gebeten, die Planen abzunehmen, damit die Touristen und die notorisch kritische venezianische Oberschicht ihm bei der Arbeit zusehen konnten. »Venedig will sehen, was du mit dem Bellini machst, Mario. Venedig mag keine Überraschungen.« Der Restaurator hatte widerstrebend eingelenkt und im Januar zwei Tage lang vor unzähligen Touristen und dem Rest seines Teams gearbeitet. Dieses kurze Experiment war zu Ende gewesen, als Monsignore Moretti, in dessen Pfarrei die Kirche lag, zu einem unangemeldeten Besuch in San Zaccaria erschienen war. Als er zu dem Bellini aufgeblickt und gesehen hatte, daß der Jungfrau Maria das halbe Gesicht fehlte, war er hysterisch betend auf die Knie gefallen. Daraufhin wurden die Planen wieder angebracht, und Tiepolo wagte nie mehr, ihre Entfernung vorzuschlagen.
    Der Rest des Teams schrieb den Planen große metaphorische Bedeutung zu. Warum bemühte ein Mann sich so sehr, sich zu verbergen? Warum bestand er darauf, sich von den anderen zu distanzieren? Warum lehnte er ihre unzähligen Einladungen zum Mittagessen, zum Abendessen und zu gemeinsamen Besäufnissen am Samstagabend in Harry's Bar ab? Er hatte sich sogar geweigert, zu dem Cocktailempfang zu gehen, den die Freunde von San Zaccaria in der Akademie gegeben
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