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Die linke Hand Gottes

Die linke Hand Gottes

Titel: Die linke Hand Gottes
Autoren: Paul Hoffman
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Appell auf dem Exerzierplatz Unseres allerbarmenden Erlösers hatten die drei Gefährten Gelegenheit zum Reden.
    »Mir ist übel«, berichtete Kleist.
    »Mir auch«, flüsterte Henri.
    »Ich hätte beinahe gekotzt«, gestand Cale.
    »Wir müssen alles unbedingt verstecken.«
    »Oder es wegwerfen.«
    »Man gewöhnt sich schon noch daran«, sagte Cale. »Aber falls ihr eure Sachen nicht mehr wollt, nehme ich es.«
    »Nach dem Exerzieren muss ich die Gewänder falten«, sagte Henri. »Gebt mir das Essen und ich verstecke es in der Sakristei.«
    »Was schwatzt ihr da, ihr Zöglinge?« Lautlos wie immer war Pater Malik hinter ihnen aufgetaucht. Wenn man wusste, dass er in der Nähe war, enthielt man sich tunlichst jeder falschen Bewegung, denn er hatte die unheimliche Fähigkeit, einen wie ein Gespenst anzufallen. Dass er ausgerechnet heute die Morgenübungen von Pater Fitzsimmons, der seit der Teilnahme am Ostfeldzug an Verdauungsbeschwerden litt und bei den Zöglingen als Dünnschiss-Fitz bekannt war, unangekündigt übernommen hatte, war wirklich Pech. »Ich will zweihundert Liegestütze sehen«, verkündete er und gab Kleist eine heftige Kopfnuss auf den Hinterkopf. Nicht nur die drei Gefährten, sondern gleich die ganze angetretene Reihe musste sich auf den Boden legen und mit den Liegestützen beginnen. »Nicht du, Cale«, sagte Malik, »du gehst in den Handstand.« Cale ging leicht in einen Handstand, schloss einen Liegestütz an, dann wieder Handstand, Liegestütz und abwechselnd immer so weiter. Mit Ausnahme von Kleist verzogen alle anderen vor Anstrengung gequält ihre Gesichter, nur Cale absolvierte die Übung scheinbar mühelos, als könne er, den Blick in die Ferne gerichtet, ewig so weitermachen. Kleist schaute nur gelangweilt, blieb jedoch ganz locker und war doppelt so schnell wie die anderen. Als auch der Letzte, erschöpft und mit verzerrtem Gesicht, seine zweihundert Liegestütze geschafft hatte, verordnete Malik Cale nochmals zweihundert wegen der Sünde, körperlichen Stolz gezeigt zu haben. »Ich wollte von dir nur einen Handstand, keine Liegestütze. Der Stolz eines Zöglings ist ein Appetithappen für den Teufel.« Diese Lektion blieb bei den Jungen allerdings ohne Wirkung. Sie sahen ihn nur verständnislos an, denn solch einen leichten, den Gaumen kitzelnden Imbiss vor oder zwischen den Mahlzeiten war etwas, das außerhalb ihrer Vorstellungskraft lag, von ihrer Erfahrung ganz zu schweigen.
    Beim Klang der Glocke, die zum Morgengebet rief und damit das Ende der Exerzierstunde einläutete, traten fünfhundert Jungen so langsam, wie sie es sich trauten, den Rückweg zur Basilika an. An der Stelle, wo der Weg ins Kirchenschiff abbog, stahlen sich die drei Gefährten davon. Sie gaben Vague Henri alle Nahrungsvorräte, die ihre Taschen bargen, dann kehrten Kleist und Cale zu den anderen Jungen zurück, die auf dem Vorplatz der Basilika zusammenströmten.
    Unterdessen hob Vague Henri den Riegel der Sakristeitür mit der Schulter hoch, da er beide Hände voll mit Brot, Braten und Kuchen hatte. Er drückte gegen die Tür und horchte, ob Mönche in der Nähe waren. Er setzte einen Fuß ins Dunkel der Sakristei, jeden Augenblick bereit, wieder fortzuschleichen, wenn die Luft nicht rein sein sollte. Offenbar war aber niemand da. Er huschte zu einem Schrank hinüber, musste jedoch einen Teil der Vorräte auf den Boden legen, um die Schranktür zu öffnen. Ein bisschen Schmutz, dachte er, hat noch niemandem geschadet. Dann löste er ein Brett aus dem Schrankboden. Darunter befand sich ein ziemlich großer Hohlraum, wo Vague Henri all seine Habseligkeiten verbarg – alles Verbotene. Die Zöglinge durften nichts Eigenes besitzen, da es, wie Pater Wutz einmal sagte, die »Gier nach weltlichen Gütern« in ihnen erwecken könnte. Wutz war natürlich nicht sein wirklicher Name, er hieß eigentlich Pater Glebe.
    Glebes Stimme ließ sich nun aus dem Hintergrund vernehmen. »Wer ist da?«
    Verborgen von der Schranktür, schaufelte Vague Henri rasch mit beiden Händen die Vorräte in den Schrank, stand auf und schloss die Tür.
    »Was sagtet Ihr, gnädiger Vater?«
    »Ach du bist es«, sagte Pater Glebe. »Was machst du denn da?«
    »Was ich hier mache?«
    »Ja«, sagte Glebe ungehalten.
    »Ich... äh... ja.« Henri schaute sich um, als suche er nach einem Einfall. Schließlich schien er irgendwo an der Decke fündig geworden zu sein.
    »Ich war gerade dabei, das Messgewand von Pater Bent wieder an seinen Platz zu
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