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Die Liebeslotterie

Die Liebeslotterie

Titel: Die Liebeslotterie
Autoren: Andrew Nicoll
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nun guckst du! Du schaust mich direkt an. Ungezogener, ungezogener Stopak. Sehr ungezogen.» Sie warf einen Blick in den Spiegel und zog einen Schmollmund.
    «Aber ich nehme es dir nicht übel. Es ist wirklich hübsch, und nicht einmal überteuert, wenn man drüber nachdenkt. Die Verkäuferin hat mir erzählt, dass die Feen es aus den Wattebäuschen weben, die sie in Vollmondnächten aus den Deckeln der Aspirinfläschchen zupfen. Das macht es natürlichsehr kostbar, aber   …» – sie begann, vom Fußende des Bettes wie eine Tigerin auf Stopak zuzukriechen – «…   wenn ein so großer und starker Mann wie du es in die Finger bekommt, könnte er es wahrscheinlich in Fetzen reißen. Wahrscheinlich könntest du es mir mit den Zähnen vom Leib reißen wie ein Wolf, nicht wahr, du böser, böser Mann?»
    Stopak schlug die Decke zurück. «Ich muss ins Bad», sagte er.
    «Jetzt? Jetzt musst du ins Bad?»
    «Ja. Jetzt. Ins Bad.»
    «Na schön. Ich werde warten. Ich werde einfach warten. Aber beeil dich, du schlimmer Junge. Ich habe so wenig an, ich werde erfrieren ohne den großen, starken Stopak.»
    Stopak kam nicht zurück. Nach einer Weile zog Agathe ihre Schuhe aus und kroch unter die Decke. Als sie wieder aufwachte, war Stopaks Betthälfte immer noch leer, und sie konnte Lärm in der Wohnung hören. Sie stand auf, schlüpfte in einen Morgenmantel und stolperte durch den Flur. Unter ihren Füßen spürte sie die Astlöcher in den Dielen, die sich durch den Linoleumbelag drückten. Aus dem Badezimmer drangen Abrissgeräusche. Agathe erschrak. Sie rüttelte an der Tür, aber sie war abgeschlossen. «Stopak! Stopak, ist alles in Ordnung? Was tust du da drin?»
    «Mit mir ist alles in Ordnung. Ich arbeite.»
    «Wie meinst du das, du arbeitest? Stopak, es muss fast drei sein. Was sollen die Nachbarn denken?»
    Er kam an die Tür. Agathe konnte ihn hören, er stand direkt hinter der dünnen Sperrholzplatte. «Ich arbeite, das ist alles. Ich dachte mir, der Raum könnte eine Veränderung gebrauchen. Ist schon eine ganze Weile her, dass wir hier drin renoviert haben.»
    Agathe bemühte sich, nicht zu schreien. «Um Gottes willen, Stopak, es ist eine ganze Weile her, dass wir überhaupt etwas gemacht haben. Komm ins Bett. Fang woanders an. Zur Hölle mit dir und deiner Renovierung, Stopak. Komm ins Bett. In Dot gibt es einen Haufen Männer, die sich ein solches Angebot nicht entgehen lassen würden!»
    «Nenn mir einen!», schrie Stopak. «Nenn mir einen einzigen!» Die Tür blieb zu.
    Agathe stand noch eine Weile schweigend vor der Tür, bis sie wieder das Geräusch der Tapete hörte, die von der Wand gekratzt wurde. Dann lief sie durch den Flur, warf ihre Unterwäsche auf den Boden, stieg wieder ins Bett – diesmal nackt – und weinte.

 
    ALS DER MORGEN GRAUTE, war es in der Wohnung wieder still. Agathe stand auf und watschelte ins Badezimmer. Die Wände waren kahl, es roch nach Feuchtigkeit. Stopak hatte das Gebälk neu gestrichen, alle Löcher im Putz ausgebessert und den Raum sauber hinterlassen, abgesehen von ein paar Papierstreifen, die unter der Badewanne hervorlugten. Agathe schlurfte zum Waschbecken und stöhnte auf, als sie ihr Spiegelbild sah. Schlimm sah sie aus. Wie Medusa. Kein Wunder, dass er nicht gewollt hatte. Sie drehte die Wasserhähne auf und wusch sich das Gesicht. Ihre Augen waren immer noch rot, aber daran ließ sich nichts ändern. Agathe fühlte sich, als hätte sie die Nacht auf einem Steinhaufen verbracht. Die Kehle tat ihr vom Schluchzen weh, ihre Brust war schwer, ihre verstopfte Nase war zu einer Kartoffel angeschwollen, und jedes Gelenk knackte. «So ist es, wenn man alt wird», sagte sie.
    Aber die Agathe im Spiegel sagte: «Du bist nicht alt. Lass dich von ihm nicht alt machen.»
    Agathe drehte sich zum Badezimmerhocker um, auf dem immer noch das ordentlich zusammengefaltete Dreingabe-Unterhemd lag. Sie griff danach und zog es sich über den Kopf. Sie überhörte den leisen Aufschlag der letzten Lavendelblüten auf dem Fußboden. «Siehst du! Eine alte Frau in Altfrauenunterwäsche!»
    Dabei war die traurige, rotäugige Gestalt im Spiegel nochverlockender als die verführerische Dirne, die sie am Vorabend hatte sein wollen.
    Das dicke Hemd klebte wie Sirup an ihren Kurven und tat den Ansprüchen der Sittsamkeit nur mit knapper Not Genüge. Agathe sah nie weniger als hinreißend aus – sie konnte gar nicht anders. Unvermittelt ging sie in die Küche. Sie hatte vorgehabt, den Raum mit
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