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Die Liebeslotterie

Die Liebeslotterie

Titel: Die Liebeslotterie
Autoren: Andrew Nicoll
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denn nicht die Erdbeeren probieren? Ich habe extra welche gekauft. Dann heben wir sie für später auf. Wetten, dass ich dich später damit locken kann? Geh, mach es dir gemütlich und lies deine Zeitung. Ich spüle das Geschirr. Du hast einen anstrengenden Tag hinter dir.» Dann das Scharren der Stuhlbeine, das Flappen der Zeitung, das Seufzen der Sprungfedern im Sofa.
    Agathe stand am Becken, spülte das Geschirr und summte «The Boy I Love» vor sich hin, aber ihre Stimme stockte, und ihre Augen brannten. Als sie fertig war, ließ sie das Wasser ablaufen und wischte die Spüle sorgfältig aus. Sie trocknete das Geschirr ab, stapelte die Teller übereinander und räumte sie weg. Das nasse Geschirrtuch hängte sie zum Trocknen über den Backofengriff, dann nahm sie ein altes Messer aus der Küchentischschublade und machte sich auf die Jagd nach Fettresten. Agathe ließ die stumpfe Messerklinge in alle Ritzen gleiten – um den Emaillerand der Herdplatten, über die Abzugshaube, die den Küchendunst durch ein Loch in der Wand nach draußen beförderte, über die Küchenregale und Fußleisten. An der Klinge kringelten sich winzige Rollen abgeschälten Fettes zusammen. Agathe spülte sie ab und füllte einen Eimer mit warmer Seifenlauge, um alle Oberflächen abzuwaschen.
    Sie hatte sich ausgerechnet, dass dieser Vorgang fast genau zwei Stunden dauern würde – genauso lange, wie Stopak brauchte, um jeden einzelnen Buchstaben in der Abendzeitungzu lesen. Sie wusste das, weil es jeden Abend so lange dauerte. Niemand las mehr aus der Zeitung heraus als Stopak. Wenn er dann fertig wäre, würde die Küche strahlend sauber sein, dieselbe Küche, in der sie sich morgen beim Frühstück als Liebespaar wiedersehen würden, dieselbe Küche, in der er sie umarmen und anschauen und ihr dankbar für die Rettung sein würde. Es würde wundervoll sein. So wie am Morgen nach ihrer Hochzeitsnacht. Wie eine zweite Hochzeit. Sie war gerade dabei, die letzte Schranktür abzutrocknen, als sie die Sprungfedern ächzen hörte. Stopak stand auf und ging zu Bett. Er verschwand ohne ein Wort. Sagte nicht einmal gute Nacht. Kündigte sein Verschwinden nicht an. Nur Schweigen. Sie hörte, wie er sich aufs Bett setzte. Ein Schuh fiel zu Boden. Jemand seufzte. Ein Schuh fiel zu Boden. Agathe nahm den Eimer und leerte ihn in die Spüle. Sie betrachtete ihre Hände. Gerötet. Rau. Sie drehte das kalte Wasser voll auf und hielt die Hände darunter, bis die Rohre in der Wand zu quietschen und zu klopfen anfingen. So war es besser. Ruhiger.
    Auf ihrer Frisierkommode stand ein Tiegel mit Creme. Sie stellte sich kurz vor, Stopak mit mehreren Handvoll davon einzureiben. Nein. Nein. Nein. Das gehörte nicht zum Plan. Sie ging hinüber ins Schlafzimmer, wo Stopak wie ein Toter im Bett lag.
    «Hallo», flüsterte sie verführerisch und knipste die Lampe auf ihrem Nachttisch an.
    Stopak nahm ihre Anwesenheit grunzend zur Kenntnis. «Ich versuche zu schlafen», sagte er.
    «Ich weiß. Tut mir leid. Es dauert nicht lange.» Agathe ließ das gelbe Kleid zu Boden rutschen. Sie schleuderte es mit einer Schuhspitze weg und stand nackter als nackt da, eingehüllt in hauchzarte, rosafarbene Gaze. Sie beugte sich unnötig tiefvor, um das Kleid aufzuheben, und ging zum Kleiderschrank, wo sie es über die Tür hängte. Stopaks Blick bohrte sich in sie.
    «Wie findest du es?», fragte sie, warf sich in die Brust und fuhr mit den Fingern über den Hauch von Stoff, der ihren Körper zierte.
    Stopak lag im Bett und schwieg.
    Agathe durchquerte das Zimmer noch einmal und setzte sich auf den kleinen Hocker vor der Frisierkommode. Ihre Strümpfe rieben sich flüsternd aneinander, als sie elegant die Beine übereinanderschlug. Mit einem metallischen Geräusch schraubte sie den Deckel von einem Tiegel mit Lavendelcreme ab. Sie schaufelte einen Klecks heraus und verrieb ihn langsam zwischen den Händen. Langsam. Während sie das tat, beobachtete sie ihn im Spiegel, warf ihm Küsse zu und verzog das Gesicht zu einem kindlichen Ausdruck.
    «Du darfst nicht böse mit mir sein. Es war wirklich sehr teuer. Und dabei bedeckt es mich kaum, hier   …», zeigte sie, «und hier   …», zeigte sie wieder. «Und es ist so dünn! Jede Wette, du kannst hindurchsehen, du schlimmer Junge. Du darfst nicht gucken!»
    Im Spiegel sah sie, dass Stopak seine Augen nicht von ihr abwenden konnte, und sie tat so, als schimpfe sie ihn aus. «Siehst du! Ich habe dir gesagt, du darfst nicht gucken, und
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