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Die Liebeslotterie

Die Liebeslotterie

Titel: Die Liebeslotterie
Autoren: Andrew Nicoll
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dem Duft von Speck, Kaffee und Zimtkringeln zu füllen. Stattdessen roch es hier nach Bleiche und nach dem Terpentin aus den Pinseln, die Stopak in der Spüle ausgewaschen hatte. Agathe stöhnte, nahm die Pinsel heraus, stellte sie in einen alten Becher und schrubbte die Farbreste aus der Spüle. «Was für ein Unsinn», murmelte sie, «was für ein blödiger Unsinn.»
    Agathe hielt inne, warf den Putzschwamm ins Becken, stellte die Kaffeekanne auf den Herd und stampfte wütend hinaus. Dann kam sie wütend zurückgestampft, um die Kaffeekanne vom Herd zu nehmen.
    Sie ging wieder ins Schlafzimmer und setzte sich auf den Hocker vor ihrer Frisierkommode.
    «Was soll der blödige Unsinn?» Das würde eine Weile dauern. «Was soll der blödige Unsinn?» Aufgebracht kämmte sie sich das Haar. Es fiel ihr in langen, dunklen Locken ins Gesicht. «Was soll der blödige Unsinn?» Sie stand auf, ging zur Wäschekommode und nahm einen sauberen Schlüpfer heraus, einen sichtbaren und enorm großen Schlüpfer, einen verwaschenen, vergilbten, löchrigen, bequemen Schlüpfer, und stieg hinein.
    «Unterhemd und Schlüpfer. Altfrauenhemd und blödiger, alter, blödiger Omaschlüpfer. Blödig! Blödig! Blödig!»
    Agathe setzte sich vor den Spiegel und schminkte sich, wobei sie ihre Tirade nicht ein Mal unterbrach, höchstens, als ein kleiner, in dunkelrote Farbe getauchter Pinsel zögerlichvor ihren Lippen schwebte. In diesem Moment fluchte sie innerlich. Sie bezwang ihre Wut, bis sie die Farbe verteilt und ihre Lippen einmal in ein Taschentuch gedrückt hatte. Dann schleuderte sie dem Spiegel durch ihre perfekten Lippen weitere Bosheiten entgegen.
    Danach fühlte sie sich besser. «Besser. Ja, viel besser. Mädchen, reiß dich zusammen und zeig dich der Welt.» Im Spiegel sah das zerwühlte Bett wie eine Reliefkarte der Anden aus. «Zum Teufel mit dem blödigen Bett – soll Stopak es doch machen!» Sie griff in den Kleiderschrank und nahm das blaue Kleid heraus, das mit der weißen Paspel, schlüpfte in ihre Schuhe und verließ die Wohnung.
    Auf der Wendeltreppe war es dunkel. Agathe stieg vorsichtig hinab, eine Hand auf dem alten Holzgeländer, die andere an der steinernen Mittelsäule. Sie war froh, bald auf der Straße zu stehen. Gerade war sie von der letzten wackeligen Treppenstufe heruntergestiegen und wollte sich auf den Weg zur Arbeit machen, als   … «Guten Morgen, Agathe!».
    Agathe schlug sich eine Hand an die Brust. Hektor. Sie verabscheute Hektor. Sie verabscheute ihn, weil er göttlich aussah – dunkel, groß und gefährlich. Immer derselbe, schwarze Mantel, der sommers wie winters über die Gehsteige fegte. Sein Haar so dünn und strähnig, sein Gesicht so blass, seine Augen so glühend wie die eines Heiligen oder eines Teufels. Die Frauen schauten ihm nach und fingen laut zu denken an – Frauen, die Agathe persönlich kannte, anständige, verheiratete Frauen, die es eigentlich besser wissen müssten, Frauen, die den Wert eines guten Ehemannes mit geregeltem Einkommen schätzen sollten, anstatt laut über einen Taugenichts wie Hektor nachzudenken. Deswegen verabscheute Agathe ihn, Verwandtschaft hin oder her.
    Sie verabscheute alles an ihm, von seinen ungeputzten Schuhen bis hin zu seinem albernen Schnurrbart. Wie eine Ratte sah er damit aus. Außerdem war er schmutzig und stank nach Alkohol und billigen Zigaretten. Der Junge müsste sich dringend einmal waschen. Schnell wandte sie den Blick von seinen eisblauen Augen ab und verabscheute ihn noch mehr.
    «Guten Morgen, Hektor. Tut mir leid. Ich kann dich nicht hereinbitten. Ich muss zur Arbeit.»
    «Oh, das macht nichts.» Er strich sich eine schwarze Haarsträhne hinters Ohr. «Ich wollte Stopak besuchen.»
    «Stopak ist auch nicht da. Was willst du überhaupt von ihm?»
    «Agathe, du überraschst mich immer wieder. Wie redest du mit mir? Du hast nicht zufällig eine Zigarette? Nein, Rauchen käme für dich nie in Frage. Nicht doch. Nicht Agathe. Und warum muss ich mich erklären, wenn ich meinen Cousin besuchen will? Meinen liebsten Cousin auf der ganzen, weiten Welt? Meinen Herzenscousin?»
    «Tja, er ist nicht zu Hause. Ich weiß nicht, wo er steckt, aber eines weiß ich – er hat kein Geld, also lass deinen allerherzigsten Stopak-Popopak in Ruhe!»
    Sie wollte an ihm vorbei, aber Hektor weigerte sich, beiseitezutreten. Er blieb stehen und lächelte auf sie hinunter, als sie sich an ihm vorbeizwängte und aus der Haustür hastete. An der Ecke der
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