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Die lieben Patienten!

Die lieben Patienten!

Titel: Die lieben Patienten!
Autoren: Robert Tibber
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gebrauchen können, statt gleich zum Telefon zu rennen, wenn sie einmal niesen müssen. Schwächlinge! Das ist es, was wir jetzt heranziehen: Schwächlinge. Als ich mit meiner Praxis begann, mußten sie praktisch im Sterben liegen, bevor sie nach dem Doktor schickten.«
    »Damals hatten sie seine Rechnungen zu beachten«, erklärte ich. Phoebe Miller hatte noch nie etwas für den Nationalen Gesundheitsdienst übrig gehabt.
    »Rechnungen, Unsinn! Sie hatten mehr Selbstzucht und Respekt vor dem Doktor.« Wir hatten auf dem Fußweg gestanden, jetzt stieg sie in ihren Wagen und ließ den Motor an. Ich sah, daß sie mir noch etwas zurief, aber da das Fenster geschlossen war, konnte ich kein Wort verstehen. Sie kurbelte es herunter und wiederholte: »Ich finde, Sie sollten sich einen Assistenten nehmen!«
    »Das habe ich auch vor«, versprach ich.
    »Gut. Ich möchte nichts mehr mit Ihren Wochenenden zu tun haben. Mir langt mein eigener Kram.« Sie fuhr ab. Drei ihrer Hunde starrten mich traurig durch das Rückfenster an.
    Es war schon etwas daran an dem, was sie sagte, aber auch nur etwas. Die praktischen Ärzte alten Stils, wie Phoebe Miller, konnten sich schlecht mit dem Nationalen Gesundheitsdienst abfinden. Im ganzen gesehen war er, vom Standpunkt des Patienten, wie von dem des Arztes, eine großartige Sache, aber er verführte auch zum Mißbrauch. Am schlimmsten war die Haltung der Patienten, die immer wieder erklärten: »Schließlich werden Sie ja dafür bezahlt!« Natürlich werden wir dafür bezahlt, aber die praktischen Ärzte sind auch nur Menschen und können die Stunden des Tages nicht beliebig ausdehnen. Am schlimmsten waren die Mütter mit kleinen Kindern. Sie schienen ihr eigenes Urteilsvermögen verloren zu haben und ihre verantwortungslose Haltung der nächsten Generation weiterzugeben. Ein Kind brauchte nur von der Schule mit Kopfschmerzen oder einem rauhen Hals nach Hause zu kommen, schon hing die Mutter am Telefon und ersuchte um einen schnellen Besuch. Vom Standpunkt der Mutter aus und von meinem eigenen war dies in den meisten Fällen verschwendete Zeit. In diesem frühen Krankheitsstadium sind erst wenige Anzeichen zu erkennen, und viel wichtiger war ein Besuch am folgenden Morgen, um festzustellen, was das Kind ausgebrütet hatte. Hätte die Mutter das Kind ins Bett geschickt, wenn es nach Hause kam, es beobachtet und wenn nötig am anderen Morgen angerufen, wäre es dem Kind nicht schlechter gegangen, dem Arzt dagegen ein ganzes Teil besser, weil er sich einen von sehr vielen unnützen Besuchen erspart hätte.
    »Ich dachte, wenn wir frühzeitig etwas dagegen tun, könnten wir es im Keim ersticken«, war die übliche Entschuldigung für diese vorschnellen Konsultationen. An und für sich war diese Haltung begrüßenswert, und in Fällen von vermutlich bösartigen Gewächsen oder Blutkrankheiten ermutigten wir die Patienten dazu; aber wir konnten nicht herumgehen und Antibiotika in jedes blasse Schulkind mit etwas Fieber hineinpumpen, bevor es möglich war, eine Diagnose zu stellen. Bettruhe und Mutters Pflege wirkten in vielen dieser Fälle besser als ein paar Pillen und eine Flasche Hustensaft von uns.
    Meine Mutter gehörte zur alten Vor-Gesundheitsdienst-Schule.
    Am Sonntagabend bei unserer Rückkehr von Limmering hatten wir neben Pennys Bett einen Becher gefunden, dessen sirupartig aussehender Inhalt mich, jedoch ohne Heimweh, in die Kinderzeit zurückversetzte.
    »Penny hat Husten«, erklärte Peter, »deshalb hat Granny es ihr mit einem Teelöffel gegeben.«
    »Was ist es? Es riecht gut.«
    »Glyzerin, Honig und Zitrone.«
    Natürlich, das war schon immer das Heilmittel für Husten, und Zimt in Milch gab es gegen Erkältungen. Und das war keineswegs so dumm, wie es schien. Hustensäfte waren eins der größten Geheimnisse unserer Tage, und neunundneunzig Prozent von ihnen waren nutzlos und hätten mit dem gleichen Erfolg in den Ausguß geschüttet werden können. Wenn jemand einen Husten hatte, lag das entzündete Gebiet bei den Bronchien, die von der Luftröhre im oberen Teil des Brustkorbes abzweigen. Der stärkste Hustensaft der Welt, wie reichlich er auch geschluckt wurde, war nicht in der Lage, da es anatomisch unmöglich war, auf seinem Weg in den Magen irgendwie in die Nähe dieses Gebietes zu kommen. Die einzige angegriffene Stelle, die er berührte, war der Rachen, und dem konnte man ebensogut mit jedem warmen oder syrupartigen Getränk Linderung bringen - ähnlich dem ziemlich
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