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Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes

Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes

Titel: Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes
Autoren: Setz Clemens J.
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Lea. Sie hatte ein Problem. Kirill presste sich ganz dicht an den Hörer. Ein Problem mit dem Kater. Er war vom Balkon aus aufs Dach gestiegen, und nun bekam sie ihn nicht mehr herunter. Sie klang ein wenig betrunken, zumindest blieben, wenn sie sprach, manche Konsonanten an ihr hängen wie Zeitungsfetzen an einem Kanalgitter. Kirill ließ sofort alles stehen und liegen und nahm die Straßenbahn. Die erste fuhr ihm vor der Nase davon, und er trat wütend gegen die Tür. Eine ältere Frau, die neben ihm stand, lachte anerkennend über seinen Zornesausbruch. Ihr Gesicht und ihre Hände waren lehmverschmiert.
    Er traf Lea tatsächlich betrunken an. Sie erzählte ihm schwerfällig die ganze Geschichte. Im Gesicht des Katers hatte sie einen Schönheitsfleck entdeckt und versucht, ihn aus dem Gesicht zu wischen. Natürlich war das Vieh vor ihr geflüchtet und hatte sich versteckt. Kirill sollte es nun vom Dach holen.
    – Wenn du eine Leiter brauchst …, sagte Lea.
    Aber dann verlor sie den Rest des Satzes und musste zu Boden blicken, um ihn wiederzufinden.
    – Im Schrank muss eine sein, sagte sie. Ist nur eine kleine … ach, das verdammte Tier. Ich habe wirklich auch so schon genug Probleme, da brauch ich nicht auch noch die Feuerwehr …
    – Du solltest dich deswegen nicht verrückt machen, sagte Kirill.
    Der Rat ging nach hinten los:
    – Verrückt? Soweit ich mich erinnern kann, habe ich dich in meine Wohnung gelassen. Allein!
    Zwischen den Pronomina sprang ihr Zeigefinger von Person zu Person.
    – Und? Habe ich die Wohnung kaputt … schlecht behandelt?
    – Kaputt geschlagen? Soll das eine Anspielung sein? Wird das nicht langsam langweilig, mich immer entlarven zu wollen?
    – Warum bist du so aggressiv?, fragte Kirill.
    – Hör auf, ich bitte dich, hör auf! Sei endlich still jetzt! Aggressiv, aggressiv, ich höre überhaupt nichts anderes mehr! Kaputt machen und Aggression, es kommt mir schon bei den Ohren raus!
    – Beruhige dich doch, was ist denn passiert?
    – Er hört immer noch nicht auf damit, er will – er will einfach nicht aufhören! Es ist nichts passiert, nichts Entsetzliches oder Aggressives und erst recht nichts, weswegen ich mich beruhigen müsste, begreif das endlich und sei still!
    – Gut, dann werde ich gehen.
    – Wie du willst. Aber vergiss nicht, die Tür hinter dir zuzuschmeißen.
    – Die Katze sollte vorher noch vom Dach.
    – Das kannst du auch vom Fenster im Treppenhaus aus erledigen. Viel besser eigentlich.
    Sie kramte in ihrer Jackentasche nach dem Schlüsselbund und legte ihn auf den Tisch. Kirill begriff die Situation immer noch nicht.
    – Ich werde hinter dir absperren, sagte sie.
    Ein lästiger Satz. Lästig, aber notwendig. Man sah, wie sehr sie sich beherrschen musste.
    Kirill nahm den Schlüssel und ging schweigend zur Tür. Als er die Türschnalle berühren wollte, zuckte er zurück. Er hielt es im ersten Moment für einen Käfer oder anderes dickes Insekt. Ein dunkelbrauner Fingerabdruck, wahrscheinlich von einem Daumen, auf dem hellen Holz neben dem Türschloss. Eilig, wie in plötzlicher Panik, sperrte er die Tür auf und rannte ins Treppenhaus. Die Tür hinter ihm blieb empört mit offenem Mund stehen.
    Im Treppenhaus hörte man von irgendwo her Pachelbels Kanon . Die Musik beruhigte Kirill ein wenig. Er öffnete das Fenster und versuchte, auf das Dach zu sehen, aber der Winkel war ungünstig. Er stieg aufs Fensterbrett, bekam sofort Angst, dachte an Leas Dankbarkeit und stand … stand aufrecht. Die Erde unter ihm bekam einen Schwindelanfall und begann zu wackeln, wie das Tablett eines betrunkenen Kellners. Auf dem Dach war nichts. Eine Fernsehantenne, eine schmutzige Luke, braune Dachziegel. Keine Katze. Kirill fragte sich, was wohl mit dem Tier passiert war.
    Er kletterte zurück ins Treppenhaus. Als er schon fast aus dem Haus war, drängte ihm eine Gestalt entgegen:
    – Du! Ich schlag dir den Schädel ein!
    – Was –
    Kirill versuchte, Albert abzuschütteln, aber der hatte sich schon in Kirills Jacke verkrallt. Kirill riss an den Händen, aber sie waren aus Blei, völlig starr und schienen selbst ihrem Besitzer nicht mehr zu gehorchen. Er und sein Angreifer drehten sich einmal im Kreis.
    – Du verdammte Drecksau!, schrie Albert. Arschloch!
    Er hatte ihn losgelassen und trat gegen einen Tisch, der neben der Haustür stand. Es war nur ein Tisch, aber Albert schlug ihm einige Schrammen.
    – Was zum Teufel ist denn los?, wollte Kirill wissen.
    Albert sah ihn an,
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