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Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes

Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes

Titel: Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes
Autoren: Setz Clemens J.
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in unserem Land – und in unseren Köpfen gäbe!
    Obwohl niemand genau verstand, was der Kolumnist damit sagen wollte, wussten alle, dass es in die richtige Richtung ging. Man wiederholte seine Worte bei jeder Gelegenheit, und sein Name tauchte auf den Rednerlisten verschiedenster Veranstaltungen auf, aber man bekam ihn nur selten zu Gesicht. Schließlich hieß es, er habe sich bei seiner Recherchearbeit einen komplizierten Splitterbruch des Handgelenks zugezogen.

    Eine Landzunge, eine Muschelsammlung auf einem weichen Strand. Nach Schönheit und Größe geordnet, liegen die gekräuselten, glatten Gebilde in einer Reihe nebeneinander, und wer sich traut, kann es versuchen und darüberbalancieren. Ein kleines Mädchen steht über eine Minute lang nur mit der Zehe auf der Spitze einer schneckenartigen Muschel von der Form eines Zwiebelturms und ahmt verschiedene Engelsposen nach: die unschuldige Posaune, das Horchen in den reglosen Himmel, den Amor, die Harfenspielerin, wieder den Amor, das hyperaktive Wunderkind –
    – Bleib nur, bleib –
    Aber Kirill hatte sich erschreckt und fiel aus seinem Traum direkt auf den Boden und unter den Tisch. Er fluchte benommen. Er hatte sich an der Kante den Kopf gestoßen.
    – Du hast geschlafen, ich wollte dich nicht wecken.
    Leas Stimme. Kirill kroch unter dem Tisch hervor und begrüßte sie. Lea hatte nasse Haare.
    – Regnet es?
    – Nein, ich war schon duschen, sagte sie. Ich hab dich zuerst gar nicht gefunden und den Kater auch nicht. Alles war ganz still, als ich in die Wohnung kam.
    – Es war auch eine ruhige Nacht.
    – Du hast einen ziemlich tiefen Schlaf.
    – Ist wahrscheinlich das Einzige an mir, das in die Tiefe geht.
    Er betrachtete Lea genauer. Obwohl er sich keine Neugier auf die durch alle Lebensbereiche geisternde Kunstprügelei erlaubte, wollte er sehen, ob man eine Veränderung an ihr erkennen konnte, vielleicht so etwas wie ein Mal, eine oberflächliche Narbe, von der nur Eingeweihte wussten … Aber Lea bedeckte ihr Gesicht mit einem dunkelgrünen Waschlappen, den sie sich abwechselnd auf die Ohren und an die Stirn hielt. Vielleicht war sie verletzt worden und versuchte, es vor ihm zu verbergen.
    – Wie war es?, fragte er.
    – Dass ausgerechnet du diese Frage stellst –
    – Du hast Recht.
    Er war gefangen in seiner eigenen Integrität. Der Kater Pero strich zur Begrüßung um die Beine seiner Besitzerin. Sie bückte sich nach ihm und machte so etwas wie einen Versuch, ihm über den Rücken zu streicheln, hielt ihm dann aber ihre Hand vor die Nase. Die Katze roch intensiv daran.
    – Gefällt es dir da auf dem Boden?, fragte Lea.
    Kirill stand auf. Der Kater kam auf ihn zu und umschmeichelte auch seine Beine. Kirill bemerkte erleichtert, dass die ausgeborgte Weste auf dem Sessel lag. Er musste sie im Schlaf abgestreift haben, bevor er auf den Boden gerutscht war.
    – Hat der Kater zu essen bekommen?, fragte sie.
    – Ja, natürlich.
    – Wann?
    Woher auf einmal dieser Ton?
    – Ja … so gegen zehn Uhr am Abend … da hat er am meisten gebettelt. Er ist ein bisschen verfressen, der alte Meister Perotin.
    – Verfressen, ja, verfressen. Ganz genau. Ein nimmersattes Vieh.
    Lea war zwar nicht lebendiger als sonst, aber es war etwas Losgelöstes an ihr. Etwas, das ihre Bewegungen neu arrangierte und ihnen eine gewisse Unwiderrufbarkeit verlieh, die sie sonst nicht besaßen. Aber gut, dachte Kirill, wenn man die ganze Nacht wach geblieben war und sich mit anderen Begeisterten aktiv über Kunst und Gesellschaft und weiß der Geier was noch alles unterhalten hatte, war das auch nicht weiter verwunderlich.
    Es klopfte heftig an der Tür. Lea erschrak und beeilte sich aufzumachen. Sie entschuldigte sich leise beim Eintretenden.
    Sie stellte die Männer einander vor.
    – Albert. Kirill. Wir haben uns heute Nacht beim Kind getroffen. Zufall.
    Kirill verbeugte sich unpassenderweise. Sofort wurde er rot. Der andere erkannte ihn wieder. Ihre Antennen fuhren aus und vibrierten feindselig.
    – Ja, also, sagte Lea, danke vielmals fürs Aufpassen und Füttern und alles …
    Sie zog ihre Brieftasche.
    – Nein, lass, sagte Kirill, ich hab’s gern gemacht.
    – Okay, gut. Auch in Ordnung.
    Und sie steckte den Geldschein wieder ein.
    – Hab ich etwas falsch gemacht?, fragte Kirill und versuchte dabei, Lea von Albert wegzulotsen. Er ging einige Schritte Richtung Küche. Aber Lea blieb, wo sie war.
    – Nein, war ja nur eine Nacht. Was soll da schon passieren.
    – Ich
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