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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen
Autoren: Wolf Serno
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salzwasserfesten Biskuits zu kosten. Vielleicht beim nächsten Mal.«
    »Werde ich ausrichten, Cirurgicus, werde ich ausrichten«, hatte Taggart geknurrt und war, bevor es vertraulicher werden konnte, unter Deck gestelzt, um sich von McQuarrie, seinem alten Maat, zu verabschieden.
    Das alles lag erst eine halbe Stunde zurück, und die drei Freunde wollten gerade eine Kutsche besteigen, als plötzlich eine schwungsvolle Melodie im Dreihalbetakt über die Pier wehte. Es war eine
Hornpipe,
einer der beliebtesten Matrosentänze überhaupt. »Knäbbig, knäbbig«, fistelte der Zwerg, »wo strömt die Schallerei wohl her?«
    Seine Frage sollte umgehend beantwortet werden, denn unter den aufmerksamen Augen von Stonewell wurden die Kranken auf Tragen an Land geschleppt, und auf der ersten Trage befand sich McQuarrie, der die Backen aufblies und seinen Dudelsack mit Inbrunst im Liegen spielte. Gelächter und Gebrüll setzten überall ein, und viele der Matrosen begannen tatsächlich zu tanzen.
    McQuarrie rief: »Wenn wir schon krank sind und nicht zu den Hafenschwalben können, wollen wir wenigstens lustig sein, was, Leute?«
    Und seine Leidensgenossen antworteten: »Aye, das wollen wir.«
    McQuarrie spielte weiter, und während die Kranken zu den wartenden Transportwagen getragen wurden, stimmten sie stolz ihr Lied an:
»Brave bird,
Falcon,
brave bird, fights like an eagle, fights like a knight, fights by day and fights at night …«
    »Das nenne ich Haltung«, sagte der Magister blinzelnd, »diese
Falcons
sind wirklich durch nichts zu erschüttern, wahre Teufelskerle!«
    »Das sind sie.« Vitus fühlte Stolz, denn er war einer von ihnen.
    »Wui, wui, sin eckerne Gacken, die Teichfahrer!«
    »So kann man es auch nennen, Zwerg.« Vitus, der seine alte Kiepe umgeschnallt hatte und den Wanderstock trug, warf noch einen letzten Blick auf die belebte Pier und drängte die Freunde dann in die bereitstehende Kutsche. »Reißt euch los«, sagte er. »Auf nach Greenvale Castle!«
     
     
     
    Er hatte beabsichtigt, schon am nächsten Tag das Schloss seiner Väter zu erreichen, um Nina in die Arme schließen zu können, aber ein Radbruch kurz vor Chichester machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Die Reparatur schien ewig zu dauern, zumal der Kutscher, ein junger, unerfahrener Mann, sich der Situation kaum gewachsen zeigte.
    Dem Zwerg und dem Magister machte die Verzögerung nichts aus, im Gegenteil: Der kleine Gelehrte gab auf der Weiterfahrt aus voller Brust einige spanische Weisen zum Besten, und der Zwerg steuerte einen lustigen Ländler aus dem Askunesischen bei.
    Vitus sang nicht. Er war in Gedanken schon bei Nina. Je näher das Wiedersehen mit ihr rückte, desto häufiger fragte er sich, ob zwischen ihnen alles wieder so wie früher werden würde. Die Affäre mit Isabella war für ihn zwar abgeschlossen, aber beendet sein würde sie erst, wenn er sie Nina gestanden hatte.
    Konnte er das?
    Wäre es nicht klüger, zu schweigen und die geliebte Frau nicht zu belasten?
    Die Zeit verging, Wälder, Wiesen und abgeerntete Felder zogen am Kutschenfenster vorbei, und es dunkelte bereits an diesem 2 . September, als der Kutscher anhielt und fragte, ob es nicht besser sei, in einem Gasthof zu übernachten und die Reise am nächsten Tag fortzusetzen.
    »Nein«, sagte Vitus. »Es sind nur noch rund zwanzig Meilen bis zu unserem Ziel, entzünde die Laternen an der Kutsche und fahr weiter.«
    »Jawohl, Mylord.« Der Kutscher fügte sich.
    Bald darauf fuhren sie in völliger Dunkelheit, und es war nur Vitus’ guter Ortskenntnis zu verdanken, dass sie sich nicht verirrten. Vitus verteilte Decken, in die sich die drei Freunde hüllten, denn die Septembernacht war kühl und feucht.
    Plötzlich blieb die Kutsche stehen.
    »Was ist los?«, rief Vitus.
    »Nebel, Mylord«, meldete der Kutscher. »Man sieht die Hand nicht mehr vor Augen. Wir können nicht weiter.«
    Vitus blickte hinaus. Der Mann hatte recht. Im schwachen Licht der Kutschlaternen war nur eine graue Wand erkennbar.
    »Da seht ihr mal, wie wenig ich immer sehe«, witzelte der Magister.
    »Wui, wui, die Dunkelwüst is dull«, krähte der Zwerg.
    Vitus biss sich auf die Lippen. Er war der Einzige, der die Situation nicht lustig fand. »Es sieht nicht so aus, als würde sich der Nebel bald lichten. Wir gehen zu Fuß weiter, es sind höchstens noch zwei Meilen bis Greenvale Castle, wir können den Weg nicht verfehlen.«
    Der Magister blickte zweifelnd. »Bist du sicher, dass du das
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