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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen
Autoren: Wolf Serno
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Mrs.Melroses Speisekammer bedient hatte, legte den gebratenen Hähnchenschenkel beiseite.
    »Nina und die Kinder sind fort! Sie sind nicht oben in ihren Gemächern!«
    »Wiewo?«, wiederholte der Zwerg, und unerklärlicherweise sagte er weiter nichts, aber dicke Tränen liefen ihm über die Wangen.
    »Was ist, warum weinst du?«
    »Nix für ungut, dassich flössel, Örl. Kann nix dafür. Hab mir’s schon gedacht, ’s is was Schlimmes passiert, spür’s im Hintergeschirr.«
    »Was soll passiert sein? Was weißt du?« Vitus rannte um den Tisch und stieß dabei einen Schemel um.
    »Nix, ich weiß nix, spür’s nur im Hintergeschirr.«
    »Blitz und Donner, was geht hier vor?« In der Tür stand Mrs.Melrose, die Nachtmütze auf dem Kopf, das Schlafgewand zerknittert und bis zu den schwammigen Knien hochgerutscht. Ihr gewaltiger Busen wogte. »Oh, da ist ja mein kleiner Prinz! Mein Schätzelein! Wieso sagst du mir nicht, dass du zurück bist, ich hätte doch …«
    »Genug!« Vitus ging dazwischen. »Wisst Ihr, wo Lady Nina und die Kinder sind?«
    Mrs.Melrose besann sich. Es fiel ihr schwer, den Blick von ihrem vergötterten Zwerg abzuwenden. Hinter ihr im Türrahmen erschienen weitere Gestalten. Mägde und Knechte, die verschlafen blickten. Sie stemmte die Arme in die Hüften. »Ja, wisst Ihr denn nicht, was geschehen ist, Mylord?«
    »Sonst würde ich nicht fragen.«
    »Ja, ja, natürlich. Verzeiht. Mylady und die Kinder wohnen seit Tagen im Haus des Gutsverwalters.«
    »Gott sei Dank!« Vitus fühlte grenzenlose Erleichterung. Doch schon im nächsten Augenblick drängten sich ihm weitere Fragen auf. »Warum wohnt Lady Nina dort? Es muss dafür einen Grund geben! Welchen?«
    »Nun, äh, Mylord, das ist eine längere Geschichte.«
    »Dann will ich sie nicht hören.« Vitus drängte es nach draußen. Er lief hinüber zum Gutshaus, so schnell ihn seine Beine trugen.
     
     
     
    Catfield wachte davon auf, dass jemand dröhnend den Türklopfer betätigte. Seit seiner Zeit als Seemann und Offizier hatte er einen leichten Schlaf, und es hätte weit weniger Lärms bedurft, ihn aus seinen Träumen zu reißen. Ein kurzer Blick hinüber zu seiner Frau sagte ihm, dass sie nichts mitbekommen hatte. Wenn Anne einmal schlief, konnten neben ihr Häuser einstürzen, ohne dass sie es hörte. Aber vielleicht war das ganz gut so. Man konnte nie wissen, wer nachts vor der Tür stand.
    Sicherheitshalber ergriff er einen festen Knüppel und lief den Gang hinunter zur Tür. Bevor er öffnete, rief er: »Wer ist da?«
    »Euer Herr!«
    »Mylord?« Catfield schob den Türriegel zurück und machte auf. »Das ist aber eine Überraschung.«
    »Wohnt Lady Nina mit den Kindern bei Euch im Gutshaus?«
    »Aye, Sir.« Unwillkürlich verfiel Catfield in die Sprache der Königlichen Marine.
    »Ich will zu ihnen.«
    »Selbstverständlich, Sir.« Catfield versuchte, sich sein Zögern nicht anmerken zu lassen. Bevor Lady Nina die leeren Räume im anderen Teil des Gutshauses bezogen hatte, war viel geschehen. Zu viel nach seinem Geschmack. »Wenn Ihr gestattet, Sir, schicke ich meine Frau zu Ihrer Lordschaft hinüber, damit sie ihr die freudige Botschaft von Eurer Rückkunft übermittelt. Wenn Ihr so lange Platz nehmen wollt?« Er deutete auf einen hochlehnigen Stuhl.
    »Danke.« Vitus fasste sich in Geduld, und während er wartete, kreisten seine Gedanken um die seltsame Reaktion des Zwergs. Warum hatte der Wicht geweint? Er spüre etwas »im Hintergeschirr« hatte er gesagt. Was mochte das sein?
    Vitus wurde immer unruhiger. Er sprang auf und wanderte hin und her. Wie lange sollte das noch dauern? Es konnte doch nicht so schwierig sein, Nina zu wecken und zu ihm zu bringen!
    »Mylord.« Anne, Catfields Frau, stand notdürftig bekleidet vor ihm. »Wenn Ihr mir bitte folgen wollt.«
    »Was hat das nun wieder zu bedeuten?« Vitus wurde immer misstrauischer und sorgenvoller.
    Anne schien seine Frage nicht gehört zu haben. Sie ging voran, führte ihn auf die andere Seite des Hauses und öffnete eine Tür am Ende des Gangs. Sie steckte den Kopf in den Raum und sagte: »Mylady, hier kommt der Herr.«
    »Ja, Liebste, hier komme ich!«, rief er und schob Anne zur Seite, denn seine Geduld war erschöpft. »Endlich sehe ich dich wie …«
    Abrupt blieb er stehen. »Liebste …?« Vor ihm saß eine kleine Gestalt an einem einfachen Tisch. Sie wirkte zerbrechlich und fremd, denn sie trug eine Klappe über dem linken Auge und den Arm in der Schlinge. Es war Nina.
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