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Die Liebe atmen lassen

Die Liebe atmen lassen

Titel: Die Liebe atmen lassen
Autoren: Wilhelm Schmid
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von Sinn . Die Notwendigkeit dazu gerät dann in den Blick, wenn Zusammenhänge entschwinden und in der entstehenden Leere spürbar wird, welche Ressourcen damit dem Leben fehlen. Immer sind es Zusammenhänge, die »Sinn machen«, aber sie stehen nicht einfach objektiv und definitiv fest, sondern sind stets von Neuem zu durchdenken und zu deuten . Bei dieser hermeneutischen Vorgehensweise der Philosophie sind nicht beliebige Deutungen von Interesse, sondern solche, die plausibel sind, da sie nachvollziehbar und überzeugend erscheinen, und ein besonderer Sinn namens Bedeutung zeigt sich, wenn Wert und Wichtigkeit eines Phänomens überzeugend erfasst werden. Darauf zielen die philosophischen Fragen, hier in Bezug auf die Liebe: Was ist sie eigentlich, woher kommt sie, wozu dient sie, wie funktioniert sie, welcheBedeutung hat sie fürs Leben? Welche Bedeutung hat bereits die Sehnsucht nach ihr? Die Liebe steht wiederum nicht für sich allein, sondern hat Bedeutung im Rahmen einer ganzen Kultur und Gesellschaft: Was haben Beziehungen allgemein mit Liebe zu tun? In was für Zusammenhänge ist sie selbst eingebettet? An welchem Ort im Ideenhimmel einer Kultur und Gesellschaft ist sie angesiedelt, welche Rolle kommt ihr jeweils zu, und wie konnte sie solche Bedeutung gewinnen, dass Menschen den Sinn des Lebens in ihr sehen, bei ihrem Schwinden aber an der Sinnlosigkeit des Lebens verzweifeln? Und wenn das Denken und Deuten sich von geläufigen Sichtweisen lösen kann, lässt sich auch danach fragen, welche anderen Vorstellungen von Liebe noch möglich sind und welche Veränderungen zu ihrer Realisierung nötig wären.
    Voraussetzung für alles Denken und Deuten aber ist die Bereitschaft, so genau wie möglich hinzusehen: Auf dem Weg zur Weisheit wird die Philosophie zur Schule der Aufmerksamkeit, um das fragliche Phänomen möglichst achtsam wahrzunehmen und zu beschreiben , ohne Scheu vor einer anfänglichen Naivität. Diese phänomenologische Vorgehensweise dient hier dazu, die verschiedensten Aspekte des Phänomens Liebe zu erfassen und zu rekonstruieren, um schließlich ein verändertes Verständnis zu ermöglichen: Was wird als Wirklichkeit der Liebe vorgefunden, und was geschieht, wenn Menschen glauben, dass sie geschieht? Wie und warum ist sie so geworden, wie sie ist, mit allen Regelmäßigkeiten und Unregelmäßigkeiten? Die Phänomenologie geht von Erfahrungen aus, wie der Einzelne und viele Menschen sie machen, und bringt möglichst alle Aspekte des Phänomens zum Vorschein. Sie bezieht auch die künstlerische Verarbeitung von Erfahrungen mit ein, die sich in filmischen, literarischen, theatralischen,musikalischen, malerischen, plastischen, tänzerischen Werken niederschlägt. Und sie achtet auf die wissenschaftliche Erforschung von Erfahrungen, um auch genetische, epigenetische, biologische, biochemische, neurobiologische, psychologische, soziologische, ethnologische, kulturhistorische, theologische Aspekte des Phänomens zu berücksichtigen. Wichtig sind die beiläufigen ( akzidentellen ) Aspekte ebenso wie die wesentlichen ( substanziellen ) – ohne dass zweifelsfrei zu klären wäre, was im Einzelfall wesentlich oder nur beiläufig ist. Wichtig ist zudem, das Phänomen nicht nur als Anwesendes, sondern auch als Abwesendes zu sehen, um Schlüsse daraus zu ziehen: Was geschieht, wenn die Liebe schwindet? Ist ein Leben ohne Liebe möglich? Ist eine Liebe ohne ihre notorischen Schwierigkeiten möglich? Ist ein Leben ohne Liebesschwierigkeiten ein besseres Leben? Warum noch an die Liebe glauben? Brauchen Menschen Liebe? Und wenn ja, wozu?
    Liebe ist zunächst nur ein Wort. Entscheidend ist, was darunter verstanden wird. Dieses Verständnis, anfänglich nur eine vage Idee, ein unklarer Gedanke, gewinnt deutlichere Konturen in einem Begriff , der mehr ist als ein Wort, ein Wort plus x , plus all das, was an Erfahrungen, Sehnsüchten, Befürchtungen, Vorstellungen mitschwingt und mitgedacht wird. Die Philosophie macht dieses Implizite explizit und versucht, den Begriff zu klären und vielleicht neu zu prägen . Der Begriff (lateinisch terminus ) ist ihr Handwerkszeug, mit der »Arbeit am Begriff« geht sie terminologisch vor: Das Begreifen dient dem besseren Erfassen von Zusammenhängen, von Sinn, und erleichtert den Zugriff darauf, um sich gegebenenfalls an Veränderungen zu versuchen. Die Bedeutung dieser Arbeit wird leicht übersehen, aber Begriffe gehören zum innersten Kern eines Menschen, der sich in seinem
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