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Die letzten Tage von Hongkong

Die letzten Tage von Hongkong

Titel: Die letzten Tage von Hongkong
Autoren: John Burdett
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chinesische Augen, auch für nichtkommunistische, reflektierten diese Bilder eine Zeit der Schande. Westliche Glücksritter hatten das Reich der Mitte überschwemmt; die schlimmsten von ihnen verkauften Opium und beuteten die Menschen schamlos aus; die besten fanden das alles ziemlich drollig. Um einen Menschen wie Cuthbert zu verstehen, mußte man ihn mit westlichen Augen betrachten. Aus der zeitlichen Distanz und aus einer geschickt gewählten Perspektive lag eine eindringliche Schönheit in Der Opiumraucher und sein Sohn, Der Jujubaverkäufer oder Der Himmelsaltar im Mondlicht. Das war lange vor der Kulturrevolution gewesen; die alten Mauern standen noch und natürlich auch die Tore, um die Fremde wie Cuthbert seit ihrer Zerstörung durch Mao trauerten. Hsi An Men, Ti An Men, Tung An Men und Hou Men. Chan klappte das Buch zu.
    »Sie haben bereits in der Jugend beschlossen, in den Osten zu gehen. Sie haben sich ein Leben als Gelehrter und Diplomat ausgemalt, in großen, altmodischen chinesischen Häusern, mit Bediensteten, chinesischen Geliebten und dazu hin und wieder ein Opiumpfeifchen – stimmt’s?«
    »Vielleicht.«
    »Und vielleicht war auch Emily ein Teil dieses Traumes? Sie waren damals schon über Vierzig und in Hongkong, nicht in China, aber sie hatten Status, Privilegien und Geld. Sie konnten sich Ihren Traum verwirklichen. Das machen die Menschen, wenn sie an Geld kommen.« Chan trat näher an den Diplomaten heran:
    »Sie hat Sie geliebt – wie eine Chinesin.« Dann zischte er: »Heftig und wahrhaftig.«
    Cuthbert zuckte zusammen. »Anfangs, ja.«
    »Bis Sie sie in Ihr Spiel hineingezogen haben. Sie haben gewußt, was Xian aus ihr machen würde …«
    »Dieser verdammte Xian!« Chan trat einen Schritt zurück, als Cuthbert sich erhob und zum Fenster marschierte. Dann wandte er sich Chan zu. »Er hat sie kaputt gemacht. Er macht alles kaputt.«
    Chan bemerkte, wie seine Oberlippe zitterte. Cuthbert legte beide Hände auf das Stehpult und sah sich das Gedicht an. Er sprach langsam und betonte jede Silbe sorgfältig.
    »Mindestens ein Dutzend Mal in den vergangenen zehn Jahren habe ich mir während ihrer Anfälle gewünscht, daß sie der Sache endlich ein Ende macht. Als sie’s dann wirklich getan hat«, er schwieg eine Weile und mußte schlucken, »habe ich gemerkt, daß ich sie geliebt hatte. Gestern nacht war ich wie üblich betrunken, und ich habe ihre Seele gesehen, die ganz anders war als ihre Persönlichkeit. Sie war wie die Frau in dem Gedicht … unsäglich einsam, sehr weiblich, sehr chinesisch.«
    Der Engländer atmete tief durch. »Der Himmel allein weiß, warum ich es habe herumliegen lassen, damit Sie es finden konnten. Wahrscheinlich war das so eine Art melodramatischer Reflex. Vielleicht habe ich mir unterbewußt gewünscht, daß Sie mich befragen.« Er holte das silberne Etui heraus, zündete sich noch eine Zigarette an und sog den Rauch tief ein. »Sie hat mich kurz zuvor angerufen, wie bei jedem ihrer früheren Selbstmordversuche. Unglücklicherweise war ich nicht zu Hause. Sie hat mir eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen. Sie war tot, als ich bei ihr ankam. Frauen kommen ganz schlecht mit Schuldgefühlen zurecht. Darauf können sie wahrscheinlich stolz sein.« Er suchte unter seinen Papieren auf dem Stehpult herum. »Oder tue ich ihr unrecht? Hier, das hätten Sie eigentlich auch finden sollen.«
    Seine Hand zitterte leicht, als er Chan ein rotes Blatt Papier reichte. Zwei Zeilen waren mit grünem Filzstift darauf geschrieben:
     
    Wenn der Ruhm ewig währen könnte,
    Würden die Wasser des Han nach Norden fließen.
     
    Chan sah Cuthbert an.
    »Das stammt aus einer meiner Übersetzungen von Li Po – ›Der Flußgesang‹. Es lag auf dem Marmortisch neben dem Swimmingpool. Sie hat gewußt, daß ich es finden würde. Ich glaube, sie meinte damit, daß ihre strahlenden Tage vorüber waren – sie hat sich verabschiedet. Sie hatte genug von uns allen.«
    Chan wartete, bis der Diplomat sich wieder ein wenig gefangen hatte. »Und die Tonbandaufzeichnung?«
    »Von jener denkwürdigen Nacht, in der Sie zusammen mit ihr Opium geraucht haben? Sie hatte sie in ihrem Schlafzimmer versteckt. Ich habe sie weggenommen, bevor ich die Polizei verständigt habe. Schließlich waren geheime Informationen darauf.«
    Chan schwieg. Was sollte man auch auf eine so aufrichtige Beichte erwidern? Er lief nervös vor den Bücherregalen auf und ab.
    »Wissen Sie eigentlich, daß ich immer gern
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