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Die letzten Tage von Hongkong

Die letzten Tage von Hongkong

Titel: Die letzten Tage von Hongkong
Autoren: John Burdett
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hinauszögern sollte – ich wollte Sie nur bis dahin aus dem Spiel heraushalten. Aber das galt natürlich nur, bis Sie diese amerikanische Lesbe und ihre Freunde gefunden haben. Jetzt ist die Katze aus dem Sack. Wir können Sie Xian überlassen. Wenn wir schnell sind, können wir Sie vor Ihrer Ermordung wieder in Amt und Würden einsetzen.«
    Nach wie vor unter Schock versuchte Chan sich zu konzentrieren. Verbitterte Anschuldigungen waren im allgemeinen nicht das, was man von einem Mordverdächtigen erwartete. Jedenfalls nicht in Mongkok. »Wer ist Henderson?«
    Cuthbert lehnte sich auf dem Sofa zurück und kniff sich in den Nasenrücken. »Ein fetter, androgyner Freßsack, der in Großbritannien alles in seiner Gewalt hat.«
    »Und Sie haben mir den Mord angehängt, um mich aus dem Fall rauszuhalten?«
    »Ich habe die Vollmacht dazu vom Minister.«
    »Aber ich habe den Fall trotzdem weiter verfolgt?«
    »Dafür können Sie sich bei Commissioner Ronald Tsui bedanken. Ich habe ihn unterschätzt. Er ist ein richtiger Papierkrieger.«
    Chan erinnerte sich, daß Tsui ihn nicht angesehen hatte, als sie ihn des Mordes an Emily beschuldigt hatten.
    »Tsui hat also gewußt, daß ich unschuldig bin? Er hat gewußt, daß Sie mir die Sache bewußt angehängt haben?« Es gelang ihm nicht, die Hoffnung in seiner Stimme zu unterdrücken. Typisch chinesisch, daß man alle offenstehenden Rechnungen mit den Oberen beglichen haben wollte, bevor man vor das Exekutionskommando gezerrt wurde.
    »Er wußte nichts, aber ich glaube, er hat’s erraten.«
    »Ja, ja, natürlich ist das einzig und allein Sache der weißen Mandarine.« Chan hielt Cuthberts Blick stand. »Ich stehe jetzt auf.« Ein merkwürdiger Satz in der gegebenen Situation, doch Chan fiel es schwer zu glauben, daß Cuthbert nicht noch eine Waffe parat hatte.
    »Ja, machen Sie das. Ich glaube, wir müssen uns über ein paar Dinge unterhalten.«
    Chan stand auf. Als Cuthbert keine antike Waffe aus seiner Jacke holte, begann Chan, nervös mit den Armen zu schlagen. Brich nie bei einem Engländer ein; er könnte nach Hause kommen und sich mit dir unterhalten wollen. Doch Cuthbert schien in Gedanken versunken zu sein.
    »Sie haben die Fingerabdrücke an Emilys Gürtel gefälscht? Ich frage nur aus beruflicher Neugierde.«
    Der Diplomat lehnte sich auf dem Sofa zurück und seufzte.
    »Die Leute vom MI6 haben ein paar Sachen noch nicht verlernt, obwohl man denen natürlich nichts wirklich Wichtiges anvertrauen würde. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie stolz die darauf sind, in die forensische Abteilung in der Arsenal Street eingebrochen zu sein, ohne daß jemand sie erwischt hat.« Cuthbert machte ein finsteres Gesicht. »Die beste Beschreibung der englischen Psyche findet sich bei Lewis Carroll.«
    Chan machte argwöhnisch ein paar Schritte. Er warf einen Blick auf das Stehpult.
    »Sie haben sie also nicht umgebracht? Aber Sie haben gewußt, daß ich kommen würde? Und Sie haben ihren Namen über das Gedicht geschrieben?«
    Der Diplomat starrte ihn an. »Jesus.« Er schüttelte den Kopf. »Ich könnte einen Drink vertragen. Versuchen Sie, nichts zu denken, solange ich weg bin. Mir ist aufgefallen, daß die Dinge sich meistens dann zum Schlechteren entwickeln, wenn Sie nachdenken.«
    Cuthbert kehrte mit einer Flasche Brandy und zwei dickbauchigen Gläsern wieder, die er auf ein Beistelltischchen stellte. Er schenkte sie ungefähr zu einem Drittel voll. Ohne auf Chan zu warten, nahm er hastig zwei Schlucke. Chan sah, daß er bereits die Hälfte des Glases ausgetrunken hatte. Cuthbert holte das silberne Zigarettenetui aus der Tasche, warf Chan eine Zigarette zu und zündete sich selbst eine an. Nachdem er inhaliert hatte, trank er den restlichen Brandy aus und schenkte sich nach.
    »Trinken Sie«, sagte Cuthbert. »Dann hören Sie vielleicht einmal auf zu denken.«
    Chan nahm das Glas achselzuckend in die Hand. Der Engländer hatte nicht unrecht. Chan sah ihm zu, wie er weiter Brandy trank. Er nahm selbst einen Schluck.
    »Guter Cognac.«
    Cuthbert schüttelte, scheinbar ungläubig, den Kopf. »Wissen Sie, daß das die einzige Floskel ist, die ich je aus Ihrem Mund gehört habe? Wahrscheinlich ist dazu vorher erst ein Einbruch nötig.«
    »Gute Zigarette.«
    »Hören Sie auf damit, das tut weh.«
    Chan streckte die Hand aus, um ein Buch mit dem Titel Ein Fotograf im alten Peking zu berühren. Unter Cuthberts Blick holte er es vom Regal und blätterte darin herum. Für
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